LG Kassel, Beschluss vom 23.09.2019 - 2 Qs 111/19
Fundstelle
openJur 2019, 31373
  • Rkr:
Rubrum

Landgericht Kassel

Beschluss

In der Beschwerdesache

der ...

wegen Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes,

hier Beschwerde gegen die Bestätigung einer Beschlagnahme,

hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Kassel als Beschwerdekammer durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... sowie die Richter am Landgericht Dr. ... und ... am 23.09.2019 beschlossen:

Tenor

Auf die Beschwerde der Beschuldigten vom 14.08.2019 wird der Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 09.08.2019 - 273 Gs 2138/19 - aufgehoben.

Das am 20.07.2019 sichergestellte iPhone, IMEI: .... - Sicherstellungsverzeichnis des Polizeipräsidiums Nordhessen, VNr. ST/..../2019 - ist unverzüglich an die Beschwerdeführerin herauszugeben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Am Morgen des 20.07.2019 wurde das im Tenor genannte iPhone polizeilich beschlagnahmt, nachdem die - der Beschlagnahme ausdrücklich widersprechende - Beschwerdeführerin mit diesem ihr gehörenden iPhone anlässlich einer polizeilichen Personenkontrolle ihres Freundes im Bereich des Nordausgangs des Kassler Hauptbahnhofs im Vorfeld einer Großdemonstration eine Videoaufnahme unbekannten Inhalts und Umfangs von dieser Kontrolle gefertigt hatte. Die Fertigung dieser Aufnahme räumte die Beschwerdeführerin im Rahmen einer an die Presse gerichteten Email ein; sie habe sich nicht anders zu helfen gewusst, da die Polizeibeamten sehr ruppig gewesen seien und sie auch nicht zu ihrem Freund gelassen hätten. Sie sei sodann ca. 45 Minuten lang festgehalten worden und man habe einem Anwalt, der zu ihr gewollt habe, den Weg versperrt und ihn zum Gehen aufgefordert. Man habe ihr gesagt, mit einer Rückgabedes iPhones könne sie in drei bis vier Monaten rechnen; ihr Demokratieverständnis sei tief erschüttert.

Am 23.07.2019 beantragte die Staatsanwaltschaft Kassel beim Amtsgericht Kassel die richterliche Bestätigung dieser Beschlagnahme gemäß § 98 Abs. 2 StGB wegen des Verdachts der Begehung einer Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB und nach § 33 KunstUrhG. Das Amtsgericht hörte hierzu die Beschwerdeführerin an, die sich über ihren Anwalt äußerte; die Staatsanwaltschaft hielt daraufhin am 08.08.2019 an ihrem Antrag fest. Mit dem im Tenor genannten Beschluss bestätigte das Amtsgericht Kassel die dargestellte Beschlagnahme, stützte diese allerdings ausschließlich auf einen Anfangsverdacht nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Hiergegen legte die Beschuldigte mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 14.08.2019 Beschwerde ein; zudem erhob sie die Anhörungsrüge, da in dem Beschluss auf Beweismittel abgestellt werde, die ihr mangels Nichtgewährung von Akteneinsicht zuvor nicht bekannt gewesen seien. Nach der Nachholung der Akteneinsicht trug die Beschuldigte am 04.09.2019 eine ergänzende Beschwerdebegründung vor und beantragte, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtswidrigkeit der Beschlagnahme festzustellen. Aus der Begründung ergibt sich dann allerdings, dass eine Beschlussaufhebung wegen des Verstoßes gegen § 33 StPO und eine Zurückverweisung an das Amtsgericht angestrebt wird, da die Beschwerdeführerin vorträgt, durch eine erstmalige Sachentscheidung in der Beschwerdeinstanz gehe ihr eine Instanz verloren. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der genannten Schriftsätze und den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Mit Beschloss vom 06.09.2019 wies das Amtsgericht die Anhörungsrüge als unzulässig zurück, da der Beschuldigten mit der Beschwerde gegen die angegriffene Entscheidung ein Rechtsbehelf zustehe. Die Staatsanwaltschaft Kassel beantragte am 09.09.2019 die Verwerfung der Beschwerde aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses.

II.

Die nach § 304 StPO statthafte (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 98 Rn. 31) und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Nach dem derzeitigem Sachstand, der wegen des nahezu vollständigen Fehlens sonstiger Ermittlungsergebnisse wesentlich durch die plausiblen - und dem Amtsgericht bei Beschlussfassung nur teilweise bekannten - Schilderungen der Beschuldigten geprägt ist, besteht kein Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB (1.). Den Verdacht einer Straftat nach § 33 KunstUrhG hatte das Amtsgericht selbst bereits zutreffend verneint. Überdies spräche auch bei Vorliegen.eines entsprechenden Verdachts hier vieles für eine Einwilligung der in der konkreten Situation hauptsächlich geschützten Person (2.) und zudem wäre die Fortdauer der Beschlagnahme inzwischen nicht mehr verhältnismäßig (3.).

1.

Zwar geht das Amtsgericht zutreffend davon aus, dass die bei einer Unterredung im Rahmen einer polizeilichen Personenkontrolle gesprochenen Worte grundsätzlich nicht an die Allgemeinheit gerichtet sind, also nicht für einen über einen durch persönliche und sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinausgehenden Hörerkreis bestimmt sind, was der gängigen Definition des nichtöffentlich gesprochenen Wortes im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB entspricht (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 201 Rn. 3). Grundsätzlich unterfallen polizeiliche Personenkontrollen also durchaus dem Schutzbereich des § 201 StGB.

Allerdings kann das Vorhandensein einer Sogenannten "faktischen Öffentlichkeit" der Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes entgegenstehen; dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Äußerung unter Umständen erfolgt, nach denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden müsse (vgl. Fischer aaO Rn. 4, Graf in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 201 Rn. 18). Denn entscheidend ist, worauf die Beschwerdeführerin, zu Recht hinweist, die Abgeschlossenheit des Zuhörerkreises und die Kontrollmöglichkeit über die Reichweite der Äußerung (vgl. Fischer aaO Rn. 4).

Eine "faktische Öffentlichkeit" wird zwar nicht schon, wie die Beschwerdeführerin argumentiert, deswegen angenommen werden können, weil es technisch gelungen ist, eine Tonaufzeichnung von dem Gespräch zu fertigen; eine so weitgehende Auslegung würde den Straftatbestand des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB im Ergebnis gegenstandslos machen. Abzustellen ist vielmehr auf solche Umstände, die für diejenigen Personen, deren Kommunikation betroffen ist, auch offen zu erkennen sind (vgl. Schünemann in: LK-StGB, 12. Aufl., § 201 Rn. 7, der das lautstark in einer voll besetzten Gaststätte gesprochene Wort als Beispiel nennt, und Graf aaO, der das laute Telefonat in einem stark gefüllten Zugabteil, aber auch laut gesprochene Worte auf Straßen und Plätzen als Beispiele anführt). Doch auch unter Würdigung der ohne weiteres erkennbaren äußeren Umstände des zur Zeit der Aufzeichnung gegebenen Szenarios deutet hier vieles auf das Vorliegen einer solchen faktischen Öffentlichkeit in der Situation der fraglichen Personenkontrolle hin.

Hierzu trägt die Beschwerdeführerin über ihren Bevollmächtigen Folgendes vor:

"In unmittelbarer Reichweite waren mindestens zwei weitere von Maßnahmen betroffene Personen sowie ein halbes Dutzend weiterer "Nichtpolizeibeamter", welche das gesprochene Wort hören konnten: Der Betroffene äußerte seinen Teil der Unterhaltung derart lautstark, dass er auch vom Unterzeichner, welcher sich mit rund 50 Personen im Bahnhofsgebäude aufhielt, vernommen werden konnte. Sie ist zudem auf einem Video, welches eine Person in deutlichem Abstand zur Maßnahme fertigte, klar zu vernehmen." (Bl. 73 d. A.)

Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin ist der hier vorzunehmenden Beurteilung aus drei Gründen zugrunde zu legen: Es existieren keine sonstigen Ermittlungsergebnisse, die dieser Darstellung entgegenstünden, die Darstellung ist mit der Situation einer Personenkontrolle am Eingang eines Hauptbahnhofs im Vorfeld einer Massendemonstration ohne Weiteres plausibel in Einklang zu bringen und sie wird, soweit man der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Videoaufzeichnung einer dritten Person Erkenntnisse entnehmen kann, durch diese gestützt.

2.

Ist somit die - in welchem Umfang auch immer - aufgezeichnete Personenkontrolle nicht als nichtöffentlich gesprochenes Wort im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzusehen, so spricht darüber hinaus vieles dafür, dass bei abweichender Beurteilung die Tat durch eine Einwilligung der kontrollierten Person als gerechtfertigt anzusehen wäre. Die Einwilligung ist im Rahmen des § 201 StGB ein bedeutsamer Rechtfertigungsgrund (vgl. Fischer aaO Rn. 10). Dä es hier um den Mitschnitt einer Personenkontrolle geht, dürfte insoweit wesentlich auf das Einverständnis der kontrollierten Person abzustellen sein, denn die Kontrolle diente allein der Feststellung seiner Personalien; nur er dürfte im Rahmen der Kontrolle Informationen über sich preisgegeben haben. Die hierauf gerichteten Fragen der Polizeibeamten haben hingegen nur einen hinführenden Charakter ohne eigenen nennenswerten Erklärungsgehalt; was damit gemeint ist, dass die Polizei Personalien erhebt, ist ohnehin jedermann geläufig.

Anders wäre es zu beurteilen, wenn die Beamten den Kontrollierten mit Fragen zu Sachverhalten oder gar mit Beschuldigungen konfrontieren würden oder wenn ein

Gespräch zwischen mehreren Beamten untereinander aufgezeichnet würde; solches lässt sich hier, aber den polizeilichen Vermerken nicht entnehmen, wie überhaupt jeglicher Anhaltspunkt dazu, welche. Inhalte in welchem Umfang mitgeschnitten worden sein könnten, in der Akte fehlt. Selbst wenn die Beamten naturgemäß nicht werden ausführen können, was exakt mitgeschnitten wurde, weil sie dies selbst oftmals nicht wissen können, so wäre eine etwas genauere Beschreibung der mutmaßlich aufgezeichneten Inhalte als die bloße Mitteilung, der Mitschnitt habe anlässlich einer Personenkontrolle stattgefunden, sicher durchaus möglich und zur Beurteilung der Situation auch wünschenswert gewesen.

So aber muss die Kammer vom Standardfall einer Personenkontrolle ausgehen, so dass durch einen Tonmitschnitt im Wesentlichen die Rechte und Interessen des Kontrollierten verletzt würden. Da es sich in diesem Fall um den Freund der Beschuldigten handelt, spricht wiederum viel dafür, dass er eine solche Einwilligung erteilen würde. Ob er dies tatsächlich erklären würde, bedarf hier keiner weiteren Ermittlung, weil die Kammer schon den Tatbestand des § 201 Abs. 1 StGB als nicht erfüllt ansieht. Es verwundert aber im Hinblick auf die Identität des Kontrollierten dann doch, dass im polizeilichen Vermerk von der "Personenkontrolle einer hier nicht namentlich bekannten Person" (Bl. 3 d. A.) gesprochen wird.

3.

Überdies wäre die Beschlagnahme, insbesondere soweit sie unter dem Gesichtspunkt der Beweissicherung durchgeführt wird, inzwischen - bei unterstelltem Verdacht nach § 201 StGB - auch als unverhältnismäßig zu erachten. Das iPhone und vergleichbare Gegenstände anderer Hersteller, also das Smartphone generell, gehört heute für eine große Mehrzahl von Menschen zu deren zentralen Besitzgegenständen, die im Alltagsleben von überaus großer Bedeutung sind. Über dieses Gerät wickeln viele Menschen, zu denen nach ihrem eigenen Vorbringen auch die Beschuldigte gehört, große Teile ihrer Kommunikation und vielfältige Alltagsgeschäfte im weiteren Sinne ab. Überdies ist es ein - sei es als Ergebnis gezielter Sammelbemühungen, etwa von Fotos, oder als rein faktischer Zustand - zentraler Sammelpunkt einer Unmenge von nicht selten durchaus privaten Daten und Informationen über den Inhaber des Geräts und - selten bedacht - auch über sein gesamtes soziales Umfeld. Unabhängig von der Bewertung dieses in vielerlei Hinsicht durchaus problematischen Phänomens dürfte sich heutzutage jedenfalls unstreitig feststellen lassen, dass es in ausgeprägter Weise existiert. Diese extrem hohe Bedeutung des Smartphones im täglichen Leben ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten.

Zwar spricht für die Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme die zweifelsohne sehr hohe Beweisbedeutung, die das beschlagnahmte iPhone für die Gewinnung weiterer Erkenntnisse über die polizeilich beanstandete Videoaufnahme innehat. Andererseits ist zu beachten, dass es sich bei der Straftat nach § 201 Abs. 1 StGB, deren Begehung bei der Beschlagnahme im Verdachtsgrade angenommen wurde und die weiter aufzuklären wäre, um eine Tat aus dem eher unteren Kriminalitätsspektrum handelt; die gesetzliche Strafandrohung liegt etwa unterhalb derjenigen, die für nicht qualifizierte Diebstahls- und Betrugstaten vorgesehen ist.

Was die Beschlagnahme hier aber vor allem unverhältnismäßig erscheinen lässt, ist der Umstand, dass ein Gegenstand Von großer praktischer Bedeutung für die Beschuldigte .seit nunmehr fast genau zwei Monaten beschlagnahmt ist, ohne dass für die weitere Aufklärung der Verdachtstat irgendetwas geschehen wäre. Es gibt - jedenfalls ausweislich des Akteninhalts - keinerlei sonstigen Ermittlungen; mögliche Tatzeugen sind weder vernommen noch teilweise überhaupt ermittelt, worden und auch die Auswertung des iPhones ist, obwohl schon das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss zu recht eine eilige Bearbeitung angemahnt hatte, bis heute nicht erfolgt. Auf eine Anfrage der Staatsanwaltschaft vom 15.08.2019 an das Polizeipräsidium Nordhessen, die weiteren Ermittlungsergebnisse mitzuteilen, erfolgte abgesehen von einem Aktenvermerk "noch nicht ausgeführt", überhaupt keine aktenkundige weitere Reaktion und auch in der Folgezeit sind keinerlei Ergebnisse zur Akte gereicht worden.

Vor diesem Hintergrund ließe sich eine Fortdauer der Beschlagnahme unter dem Gesichtspunkt der Beweissicherung auch dann nicht rechtfertigen, wenn man - abweichend von der Auffassung der Kammer - einen Anfangsverdacht nach § 201 Abs. 1 StGB bejahen wollte. Dies gälte im Übrigen auch für die - im vorliegenden Verfahren nur am Rande erwähnten - mögliche Beschlagnahme nach § 111 b StGB unter dem Gesichtspunkt, dass eine spätere Einziehung des iPhones als Tatmittel in Betracht komme. Denn eine solche Beschlagnahme liegt nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm im freien Ermessen der Strafverfolgungsbehörden und unterliegt mithin der vollständigen Kontrolle der Verhältnismäßigkeit, die aus den genannten Gründen vorliegend zu verneinen wäre.

III.

Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben, was dem zumindest formal gestellten Antrag in der Beschwerdeschrift entspricht. Soweit sich aus den Beschwerdegründen ergibt, dass eine Zurückverweisung an das Amtsgericht aus formalen Gründen angestrebt wird, besteht hierfür schon deshalb kein Anlass, weil der bisherige Erkenntnisstand bereits ausreicht, um die Voraussetzungen der Beschlagnahme zu verneinen, so dass die Kammer sich zu einer nach § 309 StPO grundsätzlich gebotenen Sachentscheidung in der Lage sieht. Überdies würde jede weitere Verzögerung der Herausgabe des iPhone die Beschwerdeführerin zusätzlich unnötig belasten.

Einer Auseinandersetzung mit den gerügten Anhörungsmängeln bedarf es angesichts der für die Beschwerdeführerin günstigen Entscheidung nicht mehr.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO.