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Mittäterschaft nach Vollendung und vor Beendigung der Tat (sukzessive Mittäterschaft)







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Sukzessive Mittäterschaft; Mittäterschaft; sukzessiv; Vollendung; Beendigung; nachträglich


Problemaufriss


Problematisch ist die Frage, ob es Beteiligten möglich ist, einen mittäterschaftsbegründenden gemeinsamen Tatentschluss noch zu einem Zeitpunkt zu fassen, zu dem der andere, dessen Handlung zugerechnet werden soll, schon mit der Deliktsverwirklichung begonnen hat. Man spricht insoweit von „sukzessiver Mittäterschaft“. Hier gilt es, Folgendes zu beachten: Es kann hierbei nicht um den Zeitpunkt des Tatbeitrags gehen, sondern um denjenigen der Willensübereinstimmung. Sah der Tatplan also von vornherein vor, dass ein Beteiligter seinen Tatbeitrag erst nach Vollendung erbringen soll, so kann das Delikt mit diesem Beitrag dennoch „stehen und fallen“. Es kommt dann auf die allgemeinen Kriterien zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme an.


Unproblematisch ist eine sukzessive Mittäterschaft in folgenden Konstellationen möglich (Rengier Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 44 Rn. 36):



  • Wenn der Tatbeitrag zu einem Zeitpunkt erbracht wird, zu dem der Haupttäter die strafbare Versuchsphase erreicht hat; eine sukzessive Mittäterschaft ist also problemlos bis zur Vollendung des Delikts möglich.

  • Wenn sich der Handelnde dem Täter eines Dauerdeliktes (z.B. Freiheitsberaubung gem. § 239) anschließt und den Zustand mit aufrechterhält.

  • Wenn sich der potenzielle Beteiligte mit einem anderen, der bereits eine Tat vollendet hat, verabredet, gemeinsam weitere tatbestandsmäßige Akte durchzuführen. Unstreitig möglich ist eine Mittäterschaft in diesen Fällen freilich nur bezüglich dieser späteren Akte.


Ebenso unproblematisch ist eine sukzessive Mittäterschaft nach Beendigung der Tat  ausgeschlossen  (Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 25 Rn. 223). Ist ein Geschehen vollständig abgeschlossen, zieht das Einverständnis des später Hinzutretenden trotz Kenntnis, Billigung oder Ausnutzung der bestehenden Lage keine strafbare Verantwortung für das bereits abgeschlossene Geschehen nach sich (BGH StV 2016, 106).


Umstritten ist allerdings die Konstellation, in der sich jemand mit dem Haupttäter zu einem Zeitpunkt verabredet, zu dem die Haupttat zwar formell vollendet, nicht aber materiell beendet ist.


Beispiel:  A betritt auf seiner allnächtlichen Diebestour durch eine unverschlossene Hintertür eine Lagerhalle, in der Computer aufbewahrt werden. Nachdem er eine größere Menge Laptops aus der Halle herausgeschafft und in einem Gebüsch zum Abtransport bereitgelegt hat, ruft er seinen Freund B an, damit dieser mit dem Wagen vorbeikommet und die Geräte abholt. B macht sich sogleich auf den Weg zur Halle, lädt die Laptops ein und verbringt sie zur Wohnung des A. Dort teilen sich A und B die Beute.


Durch das Verbringen der Laptops aus der Lagerhalle hat A in Zueignungsabsicht fremden Gewahrsam gebrochen (vgl. BeckOK StGB/Wittig, 45. Edition 2020, § 242 Rn. 10) und damit einen Diebstahl (§ 242) begangen. Fraglich ist jedoch, ob B als Mittäter dieses Diebstahls zu bestrafen ist, ob also auch eine Verabredung zwischen Vollendung und Beendigung zu einer Zurechnung nach § 25 II führen kann.


Problembehandlung


Ansicht 1:  Auf Grundlage der Tatherrschaftslehre ist eine sukzessive Mittäterschaft nur bis zur Vollendung des Delikts möglich (Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 25 Rn. 221; Gropp Strafrecht AT, 4. Aufl. 2015, § 10 Rn. 212; Straten­werth/Kuhlen Strafrecht AT, 6. Aufl. 2011, § 12 Rn. 88; Rengier Strafrecht BT I, 22. Aufl. 2020, § 7 Rn. 47). Ist das Delikt im Zeitpunkt des Eintritts des fraglichen Beteiligten (hier B) bereits vollendet und das tatbestandlich umschriebene Verhalten damit abgeschlossen, so könne er dieses nicht mehr beherrschen. Vielmehr sei die Beherrschung der Tat nur bis zu ihrer Vollendung möglich.


Kritik:  Hiergegen wird eingewandt, dass man den Erfolg einer Tat erst dann nicht mehr fördern könne, wenn sie ihren materiellen Abschluss gefunden hat. Auch das Prinzip materieller Gerechtigkeit spreche für die Möglichkeit einer sukzessiven Mittäterschaft: Auch der nach der Deliktsvollendung Eintretende profitiere doch von den Bemühungen des anderen und müsse daher auch dafür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können (vgl. BGHSt 2, 344).


Ansicht 2:  Die Rspr. hingegen sieht auf Grundlage ihrer subjektiven Theorie zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme eine sukzessive Mittäterschaft auch in der Phase zwischen Vollendung und Beendigung noch als möglich an (BGHSt 2, 344; BGH NStZ 1984, 548; BGH NStZ 1996, 227, 228). Denn der fehlende Wille zur Tatherrschaft könne durch die übrigen Kriterien für Täterschaft (insb. ein starkes Eigeninteresse am Erfolg der Tat) überlagert werden, sodass auch nach Deliktsvollendung noch ein als täterschaftliche Begehung zu wertender Tatbeitrag vorliegen könne. Allerdings hält die Rspr. i.S.d. der subjektiven Theorie (so OLG Naumburg JA 2013, 871 ff.) für die Annahme einer sukzessiven Mittäterschaft einen kommunikativen Akt für erforderlich: Eine sukzessive Mittäterschaft könne nur dann bejaht werden, wenn jemand in Kenntnis und Billigung des von einem anderen begonnenen Handelns in das tatbestandliche Geschehen als Mittäter eingreift und er sich – auch stillschweigend – mit dem anderen vor Beendigung der Tat zu gemeinschaftlicher weiterer Ausführung verbindet. Sein Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat, so dass ihm auch diese gesamte Tat zugerechnet werden könne (BGH NStZ 2016, 211).


Kritik:   Grundlage jeder strafrechtlichen Verantwortlichkeit ist Kausalität, an der es beim Eintritt erst nach Deliktsvollendung notwendig fehlt; das Delikt ist bereits verwirklicht. Grundlage für eine Mittäterschaft kann nur ein gemeinsamer Tatentschluss sein, der allerdings nicht zu einem späteren Zeitpunkt gefasst und zurückwirken kann. Das Ergebnis lässt sich daher nicht mit dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG in Einklang bringen (Rengier BT I, 22. Aufl. 2020, § 7 Rn. 48). Die Rspr. sieht sich somit auch dem Einwand gegenüber, einen mit Blick auf das Schuldprinzip nicht zu haltenden dolus subsequens anzuerkennen (Münchener Kommentar StGB/Joecks, 3. Aufl. 2017, § 25 Rn. 211). Im Ergebnis deutet die Rspr. somit die bloße nachträgliche Kenntnis bzw. Billigung der Tat in unzulässiger Weise in einen Willen zur Tatherrschaft um.















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 9.43 Uhr bearbeitet.



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