Mit jeder Verschärfung der Ausgangsregeln, die die Politik in diesen Tagen beschließt, wird eine Zahl immer wichtiger, die mit darüber entscheidet, wie schwer es für jeden Einzelnen wird: Die Quadratmeterzahl. Je größer die eigene Wohnung, desto eher lässt es sich dort auf Dauer aushalten. Auf 50 Quadratmetern kann man zwei (oder mehr) Kinder schwieriger bespaßen als im Häuschen mit Garten.

Man kann das für eine Nebensächlichkeit der Pandemie halten. Man kann darin aber auch ein Muster dieser Krise erkennen: Der Ausnahmezustand legt soziale Ungleichheiten gnadenlos offen und verschärft sie. Er ist Kontrastmittel und Gift zugleich. Die Schwächeren tragen die größere Last und das größere Risiko. 

Das gilt für beide Bevölkerungsteile: für jene, die nicht mehr normal arbeiten können, und für jene, die jetzt erst recht arbeiten müssen. Je weniger die ungleiche Verteilung des Leids abgefedert wird durch Politik und private Solidarität und je länger die Ausnahmezustands dauert desto eher kann daraus gesellschaftlicher Sprengstoff werden. 

Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell spricht von einer "Hierarchie der Not". Bei den nicht "Systemrelevanten" sieht diese Hierarchie so aus: Am oberen Ende richten sich die Denkarbeiter im Homeoffice ein und hadern mit der Qualität der Videokonferenzen. Und am unteren Ende wissen viele nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollen.

Kurzarbeit als Bedrohung

Selbst bei den Kurzarbeitern gibt es Unterschiede: Wer bei VW oder BMW beschäftigt ist, wo man eh schon besser verdient, bekommt bis zu 90 Prozent des Lohns, weil die IG Metall aufstockt. Andere in Unternehmen ohne Tarifbindung bekommen nur 60 bis 67 Prozent. "Wir haben allein 3,7 Millionen Vollzeitbeschäftigte, die weniger als 2.000 Euro Brutto verdienen", sagt Sell. "Für die ist Kurzarbeit eine Bedrohung." Noch darunter kommen die Soloselbstständigen, die von einem Tag auf den anderen kein Einkommen mehr haben. Künstler, Friseure, aber auch Messebauer.

Und dann? Stehen sie eventuell vor den verschlossenen Türen des Jobcenters. Hartz IV zu beantragen ist schwer, wenn die Ämter dicht haben oder mit den Anträgen auf Kurzarbeit schon voll ausgelastet sind. Es kann Wochen oder Monate dauern, das Geld aber fehlt oft schon sofort.

Das sind nur die sichtbarsten Probleme. Andere sind versteckter, können aber fatal sein. Was ist beispielsweise mit Wohnungsräumungen, mit Strom- und Gasanschlüssen, die abgedreht werden? Normalerweise sind das die Sanktionen, die jenen drohen, die ihre Miete und ihre Rechnungen nicht zahlen. Aber was ist, wenn sie die wegen Corona nicht mehr zahlen können? Sell sagt: "Wenn man eine Gesellschaft einfriert, dann muss man auch diese Strafen einfrieren, dann darf es keine Räumungen geben und keine abgestellten Stromanschlüsse."

Ungleiches Lernen zu Hause

Ungleich sind auch die Voraussetzungen für die Schüler. E-Learning geht leichter, wenn man Tablet, Computer und am besten noch Eltern hat, die bei den Aufgaben helfen können. Aber was ist beispielsweise mit jenen, die sich nicht mit ihren Eltern aufs Abitur vorbereiten können, die dafür in Bibliotheken oder zu Mitschülern gehen würden? Sie sind nun abgeschnitten. Ebenso wie Kinder, die nur in der Schule Deutsch sprechen, ihr Spracherwerb wird sich verlangsamen. Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik in München, fürchtet: "Die Schere geht weiter auseinander."

Wößmann berichtet von Tests, wie gut die Kinder vor Ferienbeginn und danach abschneiden. Die sozioökonomisch privilegierten Kinder sind nach den Ferien besser als vorher. "Die schauen sich die Welt an und lernen dazu. Die Kinder aus bildungsfernen Familien haben sehr viel Wissen verloren." Zwar schaut sich gerade niemand die Welt an, aber auch aus dieser Pause dürften die Starken stärker hervorgehen und die Schwachen schwächer.