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Absichtsprovokation







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Sozialethische Einschränkung; Rechtsmissbrauch; Selbstschutz; Einwilligung; Notwehr; Provokation


Problemaufriss


Beispiel: S provoziert den Z den ganzen Abend durch anzügliche Bemerkungen über Z's Freund. Wie erwartet hält es Z irgendwann nicht mehr aus und greift die S an. Genau darauf hat S gewartet und schlägt Z ins Gesicht.
 
Diese Konstellation beschreibt die sog. Absichtsprovokation. Hier fordert der Täter einen Angriff heraus, um den Gegner dann unter dem Deckmantel der Notwehr verletzen zu können. Umstritten ist, welche Auswirkungen das auf das Notwehrrecht hat. Der Streit ist im Rahmen der Prüfung der Notwehr innerhalb der Gebotenheit zu thematisieren.


Problembehandlung


Ansicht 1: Nach einer m.M., der sog. Rechtsbewährungstheorie, ist auch gegen einen absichtlich provozierten Angriff eine uneingeschränkte Notwehr zulässig. Dies wird damit begründet, dass das Recht dem Unrecht nicht zu weichen habe. Die Rechtsbewährung, welche der Grundgedanke der Rechtsordnung ist, gelte auch hier (Frister GA 1988, 291, 310; Matt NStZ 1993, 271; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/Mitsch Strafrecht AT, 13. Aufl. 2021, § 15 Rn. 56). Teilweise wird innerhalb dieser Ansicht jedoch gefordert, der Provokateur müsse abgestuft vorgehen: Er müsse zunächst ausweichen, dann Schutzwehr ausüben und nur zuletzt sei er zur Trutzwehr berechtigt (MüKo StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 32 Rn. 226 f.; Schönke/Schröder/Perron/Eisele, 30. Aufl. 2019, § 32 Rn. 55 ff.).
 
Kritik: Genau diese Rechtsbewährung sollte gegenüber dem Provokateur versagt werden, da dieser das Recht zu Schädigungszwecken missbraucht. Außerdem handelt der Provokateur ohne Verteidigungswillen, da er eigentlich angreifen will (Rengier Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, § 18 Rn. 86; BGH NJW 2001, 1075).


Ansicht 2: Nach der herrschenden sog. Rechtsmissbrauchstheorie sei gegenüber einem absichtlich provozierten Angriff eine Notwehr wegen des Rechtsmissbrauchs nicht möglich. Hierfür wird die Begründung vorgebracht, dass der Rechtsbewährungsgedanke ein allgemeiner Rechtsgrundsatz sei, der für jemanden, der sich absichtlich in eine gefährliche Lage bringt, nicht gelte, da dieser nicht unter den Schutz der Rechtsordnung falle (BGHSt 26, 256, 257; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 53. Aufl. 2023, Rn. 536; Schünemann JuS 1979, 275, 278; Lackner/Kühl/Kühl StGB, 30. Aufl. 2023, § 32 Rn. 14 f.).
 
Kritik:  Dem ist entgegenzusetzen, dass selbst eine absichtliche Provokation nichts daran ändert, dass sich der Angreifer durch seine Reaktion ins Unrecht setzt. Damit ist es ausgeschlossen, den Provokateur in einer akut zugespitzten Lage generell zur Duldung der Reaktion des Angreifers zu verpflichten und damit zu verlangen, sich schwer verletzen oder gar töten zu lassen (MüKo StGB/Erb, § 32 Rn. 227).


Ansicht 3: Nach einer anderen Ansicht ist das Problem über die Rechtsfigur der actio illicita in causa zu lösen. Danach ist zwar die eigentliche Verteidigungshandlung des Provokateurs nach § 32 gerechtfertigt. Als tatbestandlich relevante Verletzungshandlung wird aber nicht diese Verteidigungshandlung angesehen, sondern die dem Angriff vorausgehende Provokation. Die Provokation soll also das tatbestandlich verlangte Unrecht verwirklichen. Diese ist dann auch rechtswidrig, denn zum Zeitpunkt der Provokation war der spätere Angriff noch nicht gegenwärtig. (Frister, Strafrecht AT, 8. Aufl. 2018, § 16 Rn. 31 f.; Lindemann/Reichling JuS 2009, 496; BGH NJW 2001, 1075)
 
Kritik: Schon die Figur der actio illicita in causa ist aufgrund des Widerspruchs abzulehnen, dass durch sie ein und dieselbe Handlung sowohl als rechtmäßig als auch als rechtswidrig beurteilt wird. Als rechtmäßig wird die Handlung aufgrund einer Rechtfertigung durch Notwehr, als rechtswidrig aufgrund eines durch die actio illicita in causa in Gang gesetzten Vorsatzdelikts angesehen. Die Rechtfertigung wird also nur "scheinhaft zugebilligt". (Roxin/Greco Strafrecht AT I, 5. Aufl. 2020, § 15 Rn. 68). Auch erscheint es schwierig, die Provokationshandlung, etwa eine Beleidigung, als Körperverletzung zu bestrafen (Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 7 Rn. 243)

















Die Seite wurde zuletzt am 22.4.2024 um 8.59 Uhr bearbeitet.



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