14.11.2005


Strafrechtliche Verurteilung wegen einer unmoralischen Liebe

Vorige Woche hat das Amtsgericht Leipzig ein Geschwisterpaar, welches eine Liebesbeziehung führte und nun gemeinsam vier Kinder hat, gemäß § 173 StGB (Beischlaf zwischen Verwandten) - zum wiederholten Male - verurteilt. Diesmal wurde der Bruder zu zwei Jahre und sechs Monaten Freiheitsentzug bedacht, seine Schwester muss sich ein Jahr lang von Amtsseiten betreuen lassen. Dieses Urteil sorgte für Aufsehen und ein Verteidiger will nun bis zum Bundesverfassungsgericht gehen.
Tatsächlich wirft diese Strafnorm - welche nicht etwa den Sexualdelikten, sondern den Straftaten gegen den Personenstand zugeordnet ist - Fragen auf, die zu einer Abschaffung der Norm führen müssten. Was für ein Rechtsgut steht hinter dieser Strafnorm? Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung gerade nicht, denn dazu müsste diese Norm systematisch den §§ 174 ff. StGB zugeordnet sein. Die Gefahr von inzestbedingten genetischen Schädigungen bei den Kindern? Das wäre eine enorme Vorverlagerung der Strafbarkeit. Die Strafnorm stellt bereits den Beischlaf unter Strafe (nicht etwa erst die Schwangerschaft) - doch nicht bei jedem Beischlaf kommt es zur automatischen Schwangerschaft. Um diesen Schutz zu gewähren, würde es ausreichen, den nicht-empfängnisverhütenden Geschlechtsverkehr unter Strafdrohung zu stellen. Doch ist es wissenschaftlich gar nicht bewiesen, dass es infolge Inzest zu einer genetischen Störung der Kinder kommt (vgl. Müko/Ritscher § 173 Rn. 3). Eine Strafdrohung deswegen verbietet sich also eigentlich schon deshalb völlig. Lässt sich aber kein taugliches Rechtsgut finden, schützt diese Norm nichts anderes als die Moral. Und der Schutz bloßer Moralvorstellungen mit den Mitteln des Strafrechts ist mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar. Die Norm gehört abgeschafft! Das könnte der Gesetzgeber auch ohne verfassungsgerichtliche Anweisung tun. Leider hat das sächsische Gericht versäumt, diese Norm dem Bundesverfassungsgericht im Wege einer konkreten Normkontrolle vorzulegen. Andererseits muss gesagt werden: wer sich in Sachsen seitens der Justiz einer effektiven und schnellen Abarbeitung der Fälle querstellt, muss mit Repressalien rechnen. Insoweit ist von sächsischen Amtsgerichten mit einem solchen Schritt nicht zu rechnen. Es bleibt also Aufgabe der Strafverteidigung den Rechtsstaat zu verteidigen.