30.10.2017


Schieflage droht - Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft

Ein neuer Akteur betritt das Feld der seit Jahren kontrovers diskutierten Europäisierung des Strafrechts. Anfang Oktober verständigten sich 20 der 28 Mitgliedsstaaten (darunter Deutschland) auf die Gründung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) . Ihr soll ab 2020 die Verfolgung von Straftaten gegen Vermögenswerte der EU obliegen. Im Rahmen dieser spezifischen Zuständigkeit wird sie in Kooperation mit den nationalen Behörden ermitteln und entsprechende Anklagen vor den nationalen Fachgerichten erheben und vertreten.

Die Notwendigkeit ihrer Einrichtung wird überwiegend auf die Summe von 50 Milliarden Euro gestützt. Diese beschreibe schätzungsweise den Schaden, welcher der EU jährlich infolge von Subventions- und Zollbetrug, Korruption und Haushaltsuntreue entstehe. Deutlich wird: Im Vordergrund der Einführung stehen Effizienzkriterien. Anders als das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) oder Europol dürfe die EPPO nicht als kostspielige, infolge beschränkter Kompetenzen aber wirkungsschwache europäische Einrichtung enden. Mindestens die steuerfinanzierten Kosten ihres Unterhalts müsse sie durch aufgeklärte und abgewendete Wirtschaftskriminalität ausgleichen. Kritische Bewertungen ihrer Einführung bemängeln dann auch vor allem den Umstand, dass sich gerade diejenigen Staaten ausgeklinkt hätten, die umfangreiche EU-Fördermittel erhielten (Polen, Ungarn) bzw. im Verdacht einer nachlässigen nationalen Verfolgung von gegen EU-Vermögenswerte gerichteten Straftaten stünden (Malta).

Von derlei ökonomischen Kalkulationen überlagert wird dabei die nicht weniger diskussionsbedürftige Frage, ob bei der Ausgestaltung einer Europäischen Staatsanwaltschaft nicht elementare Beschuldigtenrechte auf der Strecke bleiben. Die Verfahrensordnungen der beteiligten Mitgliedsstaaten unterscheiden sich nach wie vor stark, etwa hinsichtlich des Rechts auf Akteneinsicht und Beweisanträge, zulässiger Beweiserhebungs- bzw. Beweisverwertungsmethoden. Der beschlossene Verordnungstext gewährt der Behörde einen Ermessensspielraum bei der Frage, in welchem Mitgliedsstaat sie ein grenzüberschreitendes Verhalten zur Anklage bringt (vgl. Art. 36 Abs. 3 EPPO-VO). Es ist davon auszugehen, dass die Strafverfolger dieser Entscheidung die strategische Abwägung voranstellen, wo die Voraussetzungen für eine Verurteilung am geringsten ausgeprägt sind.

Unklarheit über den Ort der Anklageerhebung und die einschlägigen nationalen Prozessregeln erschweren ebenso wie mögliche Sprachbarrieren eine effektive Verteidigung des Beschuldigten. Das im Sinne eines fairen Strafverfahrens essentielle Gleichgewicht der beteiligten Akteure droht in Schieflage zu geraten. Zumal ein die Verfahrensdominanz der neuen Anklagebehörde abmilderndes Pflichtverteidigersystem oder gar eine als prozessuales Gegenstück installierte Institution der europäischen Strafverteidigung nicht geplant sind.

Diese grundlegenden Bedenken gilt es zu berücksichtigen, wenn bereits vor Aufnahme ihrer Tätigkeit eine Ausdehnung des Zuständigkeitsbereiches der EPPO auf die Felder Terrorismus, Cybercrime und Organisierte Kriminalität gefordert wird.