07.06.2024


ODARA & Octagon

Klingt fast so geheimnisvoll wie die Entengrütze. Und hat jedenfalls eine vergleichbare Tendenz. Auf die Kriminalität soll sich nicht nur eine Armada von Polizeipräsenz, sondern auch der technologische Fortschritt stürzen. Im positiven Sinne reibt man sich dabei erstaunt die Augen, dass es bei der Stadt offensichtlich angekommen ist, dass sich Kriminalität nicht allein im öffentlichen Raum wiederfindet, sondern der in aller Regel weitaus beunruhigendere Teil in den eigenen vier Wänden auszumachen ist. Patrouillierende Polizei und Pferdestaffeln helfen da wenig.

Zunächst: Das Hauptbetätigungsfeld von Stadt und Land ist und bleibt allerdings die so bezeichnete Sicherheit im öffentlichen Raum. Hier gibt es bereits liebgewonnene Routinen, die man immer wieder abrufen kann, egal nun, ob die in der Polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesene Kriminalität steigt oder sinkt. Die Sicherheitspartnerschaft muss in jedem Fall gestärkt werden. Felix Beuter hat hier noch einmal die schizophrene Argumentationslogik auf den Punkt gebracht.

https://strafrecht-online.org/beuter-sicherheitspolitik

Von 100 neuen Stellen, die das Polizeipräsidium Freiburg bis 2026 bekommen soll, hat man sich nicht lumpen lassen und exakt eine davon als Koordinierungsstelle für die häusliche Gewalt vorgesehen. Macht also ein Prozent. Es soll allerdings bereits „vier Polizeibeamte“ (sicherlich Männer) geben, die an der Umsetzung des Bedrohungsmanagements im Kontext häuslicher Gewalt arbeiten, womit wir bei insgesamt fünf Prozent wären.

Das dürfte mit Sicherheit (!) reichen, weil ja in einem immer vertrauenserweckend daherkommenden „ganzheitlichen Konzept“ das Zauberinstrument Predictive Policing übernehmen soll. Dass es bereits in der klassischen Polizeiarbeit weitgehend entzaubert worden und bereichsweise wieder eingestellt worden ist, scheint keinen großen Geist zu stören.

Die Stoßrichtung ist dabei eindeutig: Das künftige Risiko einer Gewalttat soll ermittelt und im Anschluss unterbunden werden. Ein Blick auf das Ontario Domestic Assault Risk Assessment (ODARA) trägt dabei das Problem auf der Stirn: Es begnügt sich mit 13 Ja/Nein-Fragen. Octagon soll hingegen deutlich komplexer sein und auf mehr Beziehungskonstellationen passen. Dann muss es ja einfach eine Erfolgsgeschichte werden. Denn bereits für ODARA wird mit Stolz darauf verwiesen, dass keiner der Fälle häuslicher Gewalt, von dem die Polizei Kenntnis hatte, bisher in einem Tötungsdelikt endete. Man muss die Latte nur tief genug hängen!

Für all diejenigen weit überwiegenden Konstellationen, die nicht im Fokus der Polizei stehen, wünscht man sich einmal mehr ein nicht erst auf der Ebene der Risikoabschätzung ansetzendes, sondern davor liegendes Konzept, das die Bedingungen für Hilfe und Rückzug verbessert.

Denn im Zweifel nutzt ein Großteil der auf die Risikoanalyse hin vorgesehenen Reaktionen wie das Vorbeischicken eines Streifenwagens oder die Gefährderansprache in einer eskalierenden Situation kaum etwas. Es bleibt der Eindruck, als wolle man den Aktionismus der Straße auf den Bereich der häuslichen Gewalt übertragen. Ist noch immer günstiger als ein Ausbau der Sozialpolitik.

https://strafrecht-online.org/bz-odara [kostenfrei nur im Uninetz]


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