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Nötigungsnotstand

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### Tags Nötigung; Notstand; Nötigungsnotstand; Entschuldigung; Rechtfertigung; § 34; § 35 ### Problemaufriss Vom Nötigungsnotstand spricht man, wenn im Falle eines Notstandes die Notstandslage auf der Nötigung (§ 240) durch einen Dritten beruht, der Täter also zur Begehung einer Straftat genötigt wird. **Beispiel:** A wird mit einer von B vorgehaltenen Pistole dazu genötigt, die Fensterscheibe des C einzuwerfen. Ob der Nötigungsnotstand nach § 34 rechtfertigende oder nach § 35 bloß entschuldigende Wirkung hat, ist umstritten. ### Problembehandlung **Ansicht 1:** Nach einer Ansicht soll beim Nötigungsnotstand eine Rechtfertigung aufgrund übergeordneter Rechtsprinzipien ausgeschlossen sein. Der Genötigte dürfe nicht selbst "auf die Seite des Unrechts treten" (<em>Wessels/Beulke/Satzger</em> Strafrecht AT, 49. Aufl. 2019, Rn. 698). Selbst wenn das dem Genötigten angedrohte Übel das durch die Verwirklichung des Straftatbestandes verwirklichte Interesse wesentlich überwiegt, sei die Tat des Genötigten rechtswidrig. Es bliebe lediglich die Möglichkeit einer **Entschuldigung** unter den Voraussetzungen des § 35 (Schönke/Schröder/<em>Perron</em> StGB, 30. Aufl. 2019, § 34 Rn. 41b; *Kühl* Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 8 Rn. 127 ff.). **Kritik:** § 35 erfasst nur Handlungen zur Abwendung einer Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen nahestehenden Person. Wenn dem Genötigten jedoch mit der Tötung eines Dritten gedroht wird, der nicht in den geschützten Personenkreis fällt, so wäre er, wenn er sich zur Rettung des Dritten entscheidet, wegen der abgenötigten Tat strafbar; würde er die Rettung des Dritten unterlassen, wäre er wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar (<em>Frister</em> Strafrecht AT, 8. Aufl. 2018, 17. Kapitel Rn. 19). Des Weiteren ist der Kreis der von § 35 geschützten Rechtsgüter enger gefasst, so dass bspw. die Nötigung durch Androhung von Sachbeschädigungen nie entschuldigt wäre. **Ansicht 2:** Nach anderer Ansicht ist eine zur Abwendung eines angedrohten Übels begangene Straftat nach den gleichen Grundsätzen zu beurteilen wie eine Straftat zur Abwendung anderer Gefahren. Sie ist dann nach § 34 <strong>gerechtfertigt</strong>, wenn das drohende Übel das durch die Straftat beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegt. Das Opfer der abgenötigten Handlung muss diese ebenso dulden wie sonstige Beeinträchtigungen seiner Rechtsgüter, sofern sie zum Schutz wesentlich überwiegender Interessen erforderlich sind (<em>Frister</em> Strafrecht AT, 8. Aufl. 2018, 17. Kapitel Rn. 18 ff.; *Stratenwerth/Kuhlen* Strafrecht AT, 6. Aufl. 2011, § 9 Rn. 105; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/<em>Mitsch</em> Strafrecht AT, 12. Aufl. 2016, § 15 Rn. 104 ff.). **Kritik:** Gegen eine durch Nötigung erzwungene Tat wäre keine Notwehr gem. § 32 möglich, da der Genötigte selbst nach § 34 gerechtfertigt wäre (<em>Wessels/Beulke/Satzger</em> Strafrecht AT, 49. Aufl. 2019, Rn. 698). **Ansicht 3:**   Nach einer <strong>differenzierenden Ansicht</strong>sei nicht einzusehen, warum schablonenartig nach einem Entweder-Oder gesucht wird. Vielmehr eröffneten die Notstandsregelungen gerade die Möglichkeit der Abwägung. Gelange man stets zur Rechtfertigung, überstrapaziere man die Solidaritätspflichtigkeit massiv, wenn sich der Notstandspflichtige nicht mehr des eigenen Lebens oder wesentlicher Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit oder Freiheit erwehren dürfte. Die angemessene Lösung halte in solchen Fällen § 35 StGB bereit (<em>Rengier</em> Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 19 Rn.54). Andererseits muss dem Genötigten aber nicht stets die Rechtfertigung versagt werden, denn bei geringeren Eigentumseinbußen aufseiten des Notstandspflichtigen ist durchaus von einer Solidaritätspflicht auszugehen, wenn dem Genötigten dadurch das Leben erhalten oder schwere Verletzun-gen erspart bleiben. Im Ergebnis lässt sich der Nötigungsnotstand damit befriedigend im Rahmen der Interessenabwägung behandeln (Münchener Kommentar StGB/<em>Erb,</em> 4\. Auflage 2020\, § 34 Rn\. 194; <em>Matt/Renzikowski/<strong>Eng</strong>länder</em>, 2013, § 34 Rn.41; <em>Pawlik</em>, Der rechtfertigende Notstand, 2002, S. 299 ff.).

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