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Arbeit in Haft: Es geht um mehr
Nimmt man unser Grundgesetz beim Wort, ist Arbeit in Haft Zwangsarbeit, kann aber unter bestimmten Voraussetzungen den Status „verfassungskonforme Zwangsarbeit“ erlangen (Art. 12 Abs. 3 GG).
Gut 24 Jahre, nachdem das Bundesverfassungsgericht zuletzt das Siegel der Verfassungskonformität den damals noch bundesweit einheitlichen Regelungen des Strafvollzugsgesetzes zur Arbeit in Haft verliehen hat (BVerfG NJW 1998, 3337), wird die Hausarbeit in der Kantine oder Wäscherei, die Arbeit in Eigenbetrieben und die Arbeit in sog. Unternehmensbetrieben, die für die Privatwirtschaft produzieren, ein weiteres Mal zum Gegenstand bundesverfassungsgerichtlicher Prüfung.
Im Mittelpunkt der vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts zur Entscheidung angenommenen Rechtssache „Gefangenenvergütung“ stehen dabei die so bezeichneten Resozialisierungskonzepte der Landesstrafvollzugsgesetze Bayern, Sachsen-Anhalt und NRW. Hier hatten die drei Beschwerdeführer – arbeitend – ihre Haftstrafen abgesessen.
https://strafrecht-online.org/bverfg-verguetung
Bereits in der Entscheidung von 1998 hatte das BVerfG festgehalten, Zwangsarbeit in Haft dürfe nur zwecks Resozialisierung der inhaftierten Person angeordnet werden und müsse mit einer angemessenen Anerkennung einhergehen. Diese Anerkennungshürde wird unter anderem dann genommen, „wenn dem Gefangenen durch die Höhe des ihm zukommenden Entgelts in einem Mindestmaß bewusst gemacht werden kann, dass Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll ist“.
1998 war dies nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht der Fall. Damals wie heute steht am Anfang der Lohnrechnung das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung. Hieraus wird ein Prozentanteil zum sog. „Ecklohn“ erklärt. Gegenwärtig beläuft sich dieser Anteil auf 9 %, 1998 waren es noch 5 %. Aus diesem „Ecklohn“ wiederum lässt sich ein Tagessatz für die Arbeit in Haft errechnen, der 2022 bei überaus bescheidenen 14,21 Euro liegt.
Reicht das, um bei den arbeitenden Inhaftierten eine positive Einstellung zur Arbeit zu bewirken, die das BVerfG angestrebt hatte (BVerfG NJW 1998, 3337 [3338])? Einig scheint man sich darin zu sein, dass das nicht viel ist, auch wenn man den bald bei 12 EUR pro Stunde liegenden Mindestlohn als Bezugsgröße nimmt. Seitens der Justizverwaltungen wird insoweit regelmäßig auf Kost und Logis in den Justizvollzugsanstalten verwiesen, die für die meisten Inhaftierten kostenlos, in Freiheit aber nur gegen Bezahlung zu haben seien. Ist ein höherer Ecklohn also nur für den Preis einer Ausweitung des sog. Haftkostenbeitrags, also der Selbstbeteiligung der Inhaftierten an den Haftkosten, zu haben?
Wenn der Zweite Senat die Resozialisierungskonzepte der Länder abklopft, wird er wohl kaum um die Erkenntnis herumkommen, dass eine höhere Entlohnung in Haft einen besseren Beitrag zur Resozialisierung leisten könnte.
Uns geht es dabei nicht um das möglicherweise sich beim Inhaftierten einstellende „positive Verhältnis zu Arbeit“, sondern die durch anständig entlohnte Arbeit in Haft möglich werdende Tilgung von Schulden, gelten diese doch gemeinhin als großes Hindernis bei der Wiedereingliederung von ehemals Inhaftierten in die Gesellschaft (Boll/Röhner KJ 2017, 195 [200]).
Eine Verlaufsstudie mit Inhaftierten der JVA Wiesbaden ergab zwar für die Mehrheit der Befragten keine Veränderung im Schuldenniveau. Eine Reduktion der Schulden war aber insbesondere dann möglich, wenn ein Arbeitsentgelt in der Haft erwirtschaftet werden konnte und dann auch zur Schuldentilgung verwendet wurde (vgl. Rau Schuldenbewältigung trotz Knast, in: Forschungscluster „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“ [Hrsg.], 2012, S. 125 [133]). Hierfür kommt insbesondere das sog. Überbrückungsgeld in Betracht, das während der Haft angespart und nach Haftentlassung ausgezahlt wird. Seit 2021 wird dieses Geld richtigerweise nicht mehr auf SGB II-Leistungen angerechnet (§ 11 a Abs. 6 SGB II).
Fakt ist aber auch, dass viele Inhaftierten überhaupt keine Möglichkeit der Ansparung in Haft haben und dementsprechend auch nicht von einer höheren Vergütung profitieren würden.
Mit der „Pflicht zur Arbeit“ korrespondiert nämlich kein „Recht auf Arbeit“. In der JVA Straubing etwa arbeitet anscheinend nur ein Drittel der insgesamt 800 Inhaftierten, in der JVA Stammheim existieren bei 739 Haftplätzen gerade einmal 250 Arbeitsplätze.
https://strafrecht-online.org/dlf-arbeitslohn-haft
Die Quote der Inhaftierten, die 2005 in der JVA Ulm mangels Arbeit arbeitslos waren, betrug beispielsweise 34,5 %.
https://strafrecht-online.org/ulm-arbeit-haft
Das sind zugegeben nur sehr selektive und teilweise alte Daten, auch deshalb, weil häufig lediglich die Beschäftigungsquoten vermerkt werden. Wir haben daher gestern eine IFG-Anfrage zu neueren Zahlen aus Freiburg gestellt.
https://fragdenstaat.de/a/247421
Dass die Justizverwaltungen am Ende des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht mehr Geld in die Hand nehmen müssen, erscheint uns wahrscheinlich. Immerhin zwei Tage mündliche Verhandlung lassen eine neue Grundsatzentscheidung erhoffen.
Ist man aber von der resozialisierenden Wirkung der Arbeit in Haft überzeugt, wäre es nur konsequent, die Pflicht zur Arbeit mit einem Recht auf Arbeit zu koppeln und nicht lediglich eine bessere Bezahlung zu veranlassen.
Ist zu teuer, werden die einen sagen. Das wäre ja Sozialismus, die anderen. Und dabei vielleicht an das in Art. 24 Abs. 1 DDR-Verfassung verankerte Recht auf Arbeit denken. Mag sein, aber warum nicht einmal ein solches Sozialexperiment in Haft im Dienste der Resozialisierung wagen?