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Präventivnotwehr/Problem der Gegenwärtigkeit







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Notwehr; Präventivnotwehr; Notwehrlage; Angriff; Gegenwärtigkeit; gegenwärtig; Dauergefahr; § 32


Problemaufriss


Die für eine Rechtfertigung nach § 32 erforderliche Notwehr setzt das Vorliegen eines gegenwärtigen Angriffs voraus. Gegenwärtig ist ein Angriff dann, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert (Rengier Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 18 Rn. 19; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 49. Aufl. 2019, Rn. 499).


Mit dem "unmittelbaren Bevorstehen" ist eine bedrohliche Lage gemeint, die unmittelbar in eine Verletzungshandlung umschlagen soll (Schönke/Schröder/Perron StGB, 30. Aufl. 2019, § 32 Rn. 14).


Fraglich ist, ob ein Angriff auch dann als gegenwärtig im Sinne des § 32 gilt, wenn er erst künftig droht (Präventivnotwehr).


Beispiel (nach BGHSt 48, 255): Die Täterin tötet den immer wieder gewalttätigen Familientyrannen im Schlaf, weil ihr dies bei der am nächsten Tag mit Sicherheit zu erwartenden tätlichen Auseinandersetzung nicht gelingen würde.


Problembehandlung


Ansicht 1: Nach einer Ansicht soll es sich bei diesen Situationen um eine "notwehrähnliche Lage" handeln, auf welche § 32 analog anwendbar ist (Suppert Studien zur Notwehr und "notwehrähnlichen Lage", 1973, S. 356 ff.). Das Analogieverbot des Art. 103 II GG steht dieser Analogie nicht entgegen, da es nur Analogien zulasten des Täters erfasst. Das Notwehrrecht beruht kumulativ auf einer individualrechtlichen Komponente (Verteidigung von Rechtsgütern des Einzelnen) und einer sozialrechtlichen (Bewährung der Rechtsordnung). Nach der individualrechtlichen Komponente müsse für die Zulässigkeit der Notwehr "ohne Rücksicht auf ein bestimmtes temporales Stadium des Angriffs allein der Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Abwehr maßgebend sein" (Suppert Studien zur Notwehr und "notwehrähnlichen Lage", 1973, S. 377 f.). Was die sozialrechtliche Notwehrkomponente angeht, so ist für die Bewährung der Rechtsordnung zumindest dann Raum, wenn eine - ausdrückliche oder konkludente - Angriffsdrohung vorliegt, die eine sofortige Verteidigung erforderlich mache (Krey ZStW 90 [1978], 173, 187 ff.). Schließlich erspare die analoge Anwendung des § 32 die "missliche Interessenabwägung des § 34" (Krey ZStW 90 [1978], 173, 188).


Kritik: Es fehlt bereits an einer vergleichbaren Sachlage, und zwar selbst dann, wenn ein weiteres Zuwarten des Angegriffenen seine Abwehrchancen erheblich verschlechtern würde. Das extrem schneidige Notwehrrecht darf dem Angegriffenen nur in der zugespitzten Angriffssituation zugestanden werden (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, Rn. 499, 501).


Ansicht 2: Nach h.M. steht bei erst künftig drohenden Angriffen dem Angegriffenen nicht das Notwehrrecht des § 32 zu (Rengier Strafrecht AT, § 18 Rn. 22; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, Rn. 501). Die Sachlage ist in diesen Fällen verschieden, da der Angegriffene die Möglichkeit hat, obrigkeitliche Hilfe zu rufen oder sich dem Angriff zu entziehen (Roxin Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 15 Rn. 27). Denkbar ist hingegen eine Rechtfertigung gem. § 34, da im Rahmen des Notstandes die Dauergefahr anerkannt ist.















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 9.31 Uhr bearbeitet.



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