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In welchem Verhältnis stehen die sich widersprechenden Handlungspflichten?







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rechtfertigende Pflichtenkollision; Verhältnis; widersprechende Handlungspflichten; selbstständiger Rechtfertigungsgrund; impossibilium nulla obligatio est; Duldungspflicht


Problemaufriss
Die Behandlung mehrerer gleichwertiger, kollidierender Handlungspflichten, von denen zwangsläufig nicht alle erfüllt werden können, ist umstritten.


Beispiel: Das Haus des Vaters V brennt. V muss sich aufgrund der Umstände entscheiden, welches seiner beiden Kinder er vor den Flammen rettet. Das eine Kind muss er durch die Rettung des anderen Kindes dem Flammentod überlassen.


V hat hier zwei gleichwertige, kollidierende Handlungspflichten. Er kann jedoch der einen nur auf Kosten der anderen nachkommen (Beck'scher Online-Kommentar StGB/Momsen/Savic, 44. Ed. 01.02.2024, § 34 Rn. 24).


Problembehandlung


Ansicht 1: Nach der h.M. ist die Pflichtenkollision gleichwertiger Handlungspflichten nicht durch § 34 zu erfassen, denn die hinter den Pflichten stehenden Interessen sind im gleichen Maße schutzwürdig (Roxin Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 16 Rn. 122). Gem. § 34 muss das geschützte Interesse das beeinträchtigte jedoch wesentlich überwiegen, sodass § 34 nicht einmal analog anwendbar ist. Dennoch sei das Verhalten des V hier nicht rechtswidrig, da ein Verhalten nur als rechtswidrig beurteilt werden könne, wenn der Rechtsordnung ein "richtiges" Alternativverhalten zu entnehmen sei (vgl. Roxin Strafrecht AT I, § 16 Rn. 119). Um die rechtliche Missbilligung der vorgenommenen Rettungshandlung und damit ein nicht sachgerechtes Ergebnis zu vermeiden, müsse also auf den Grundsatz "impossibilium nulla obligatio est" zurückgegriffen werden (Münchener Kommentar StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 34 Rn. 47). Niemand sei zur Leistung von Unmöglichem verpflichtet.
Die Pflichtenkollision gleichwertiger Handlungspflichten sei also ein "selbstständiger übergesetzlicher Rechtfertigungsgrund" (Roxin Strafrecht AT I, § 16 Rn. 122; Lackner/Kühl/Heger Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2023, § 34 Rn. 15). Nach dieser Ansicht handelte V somit nicht rechtswidrig.


Kritik: Notwehr ist nur gegen gegenwärtige rechtswidrige Angriffe erlaubt. Erklärte man nun das Handeln des V für gerechtfertigt, so würde man dem nicht geretteten Kind eine Duldungspflicht für alle mit der Rettung seines Geschwisterkindes verbundenen Handlungen auferlegen. Dies ist nicht sachgerecht, weil somit auch Rettungshandlungen, welche die Überlebenschancen des nicht Geretteten schmälern würden, geduldet werden müssten (BeckOK/Momsen/Savic, § 34 Rn. 24).


Ansicht 2: Nach einer Mindermeinung ist der Problemfall über § 35 zu lösen. Der Täter könne lediglich entschuldigt werden, da eine Duldungspflicht für den Nicht-Geretteten unzumutbar sei (BeckOK/Momsen/Savic, § 34 Rn. 24).


Kritik: Gegen die bloße Entschuldigung des V spricht neben dem oben Genannten, dass diese Lösung dem Bemühen des V nicht gerecht wird: So stellt die teilweise Erfüllung seiner Pflichten ein "Mehr" gegenüber dem Verhalten eines Untätigbleibenden dar. Bei einem Unglück kann auf die Rettung von Menschenleben aber nicht deshalb verzichtet werden, weil nicht alle Beteiligten gerettet werden können. Die Rettung Einzelner ist folglich angemessen und die Bewertung des väterlichen Bemühens als "rechtswidrig" wäre in diesem Kontext ein Widerspruch zur Rechtsordnung, da V nicht mehr unternehmen kann, als ihm möglich ist (Roxin Strafrecht AT I, § 16 Rn. 120).















Die Seite wurde zuletzt am 18.4.2024 um 12.42 Uhr bearbeitet.



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