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Mittelbare Täterschaft bei absichtslosem Werkzeug







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absichtslos doloses Werkzeug; normative Tatherrschaft; Tatherrschaft; qualifikationsloses doloses Werkzeug; Absicht; Absichtsstraftat; Zueignungsabsicht; Gänsebuchtfall; Drittzueignungsabsicht; Anstiftung; Strafbarkeitslücke; mittelbare Tatherrschaft


Problemaufriss


Bei Tatbeständen, die als subjektives Element neben dem Vorsatz zusätzlich eine Absicht verlangen (etwa die Zueignungsabsicht bei § 242), ist die Konstellation denkbar, dass der Tatmittler zwar vorsätzlich, aber ohne die erforderliche Absicht agiert, der mittelbare Täter aber die zusätzliche Absicht hat. Fraglich ist, ob in diesem Fall eine mittelbare Täterschaft angenommen werden kann.


Beispiel 1: A nimmt im Geschäft des O einen DVD-Player mit. Direkt nach Verlassen des Ladens will er diesen dem Hintermann B übergeben. Er handelt vorsätzlich, hat aber keine Selbstzueignungsabsicht.


Hier handelt es sich um eine Konstellation, die seit dem 6. StrRG schon als Drittzueignungsabsicht von § 242 I erfasst ist. Diese lässt die Absicht des Täters genügen, die Sache in das Vermögen eines Dritten zu überführen (Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT 2, 42. Aufl. 2019, § 2 Rn. 166).


Beispiel 2: A nimmt der O eine wertvolle Halskette weg und gibt es sofort der B. B hat vorher der A glaubhaft versichert, dass sie das Schmuckstück nur für einen Opernbesuch ausleihen wolle. In Wirklichkeit will B es jedoch dauerhaft für sich behalten.


A hat keine Selbstzueignungsabsicht, da er die Kette direkt B übergibt. Eine Drittzueignungsabsicht liegt ebenfalls nicht vor, denn A geht davon aus, dass B das Schmuckstück bald wieder zurückgeben will. A hat sich nicht gem. § 242 I strafbar gemacht.


Beispiel 3: B fordert den A auf, die Gänse aus der Gänsebucht des O in seinen Stall zu treiben. A öffnet die Tür und treibt die Gänse in den Stall des B. Das Schicksal der Gänse ist dem A aber völlig egal. Ihm kommt es nur darauf an, dem O, mit dem er aufgrund eines alten Streits noch eine Rechnung offen hat, Schaden zuzufügen (Beispiel nach RGSt 48, 58).


A hat sich nicht gem. § 242 strafbar gemacht, da er weder Selbst- noch Drittzueignungsabsicht hat.


Vorüberlegung zu B: Eine Strafbarkeit des B wegen Anstiftung scheidet aus, da keine strafbare Haupttat vorliegt. Eine mittelbare Täterschaft aufgrund überlegenen Wissens kommt aufgrund der vorsätzlichen Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des A nicht in Betracht.


Problembehandlung


Ansicht 1: Eine Auffassung bejaht in derartigen Fällen eine normative Tatherrschaft des Hintermannes. Demnach habe nicht nur derjenige Tatherrschaft, der die tatsächliche Tatherrschaft innehat, sondern auch derjenige, der die erforderliche deliktsspezifische Absicht besitzt und mit dieser auf den bloß vorsätzlich – ohne eben diese Absicht – handelnden Tatmittler einwirkt (Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 20 Rn. 55).


Lösung Beispiel 3: B will sich die Gänse des O zueignen. A hat weder Selbst- noch Drittzueignungsabsicht. Damit hängt die Strafbarkeit wegen Diebstahls gem. § 242 I von der Absicht des B ab. Er setze, so die Vertreter der ersten Ansicht, den A als absichtslos doloses Werkzeug ein und habe normative Tatherrschaft. B habe sich wegen Diebstahls gem. §§ 242, 25 I strafbar gemacht (Rengier Strafrecht BT I, 22. Aufl. 2020, § 2 Rn. 174 f.).


A habe sich dann gem. §§ 242 I, 25 I Alt. 2, 27 I wegen Beihilfe zum Diebstahl in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht.


Kritik:  Zur Begründung auf die Tatherrschaftslehre zurückzugreifen erscheint in solchen Fällen sehr zweifelhaft, da gerade nur der Ausführende die Herrschaft über die Tatausführung hat (Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 25 Rn. 153).


Ans icht 2: Die Gegenansicht lehnt die Konstruktion einer normativen Tatherrschaft in dieser Konstellation ab (Roxin Strafrecht AT II, § 25 Rn. 153 f.; Wessels/Hillenkamp Strafrecht BT II, § 2 Rn. 167).


Lösung Beispiel 3:   Wenn die Lehre von der normativen Tatherrschaft nicht anerkannt wird, hat sich B nicht wegen Diebstahls in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 242 I, 25 I Alt. 2 strafbar gemacht. B hat sich jedoch, indem er sich die Gänse zueignete, wegen Unterschlagung gem. § 246 I strafbar gemacht. A hat sich dann wegen Beihilfe zur Unterschlagung gem. §§ 246 I, 27 I strafbar gemacht.


Kritik: Diese Lösung wird der Tatsache nicht gerecht, dass der Hintermann die Tatbestandsverwirklichung über den Vordermann herbeiführt (Kühl Strafrecht AT, § 20 Rn. 55).















Die Seite wurde zuletzt am 4.4.2023 um 12.09 Uhr bearbeitet.



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