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Beihilfe durch neutrale Handlung







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neutral; Alltagshandlungen; Alltagshandlung; Handlungsfreiheit; Beihilfe; Autonomie; professionell adäquate Handlungen; sozialadäquates Verhalten


Problemaufriss


Straftaten können auch durch auf den ersten Blick alltägliche Handlungen gefördert werden. Da grds bereits dolus eventualis als den Vorsatz des Gehilfen begründend ausreicht, wird häufig versucht, insoweit strengere Anforderungen an eine Strafbarkeit zu stellen, um die Berufs- und allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 12 I, 2 I GG) zu schützen. Es stellt sich daher die Frage, ob und inwieweit alltägliche oder berufstypische Verhaltensweisen eine strafbare Beihilfe i.S.d. § 27 begründen können.


Beispiel 1: A ist Verkäufer in einem Baumarkt. Er weiß darum, dass sein Freund T einen bitteren Streit mit seiner Ehefrau führt. Als der T sich im Baumarkt bei A nach einer Kettensäge erkundigt, hält A es für durchaus möglich, dass der T damit seine Ehefrau töten wird. Ihm ist dies freilich gleichgültig; er verkauft ihm die Kettensäge des Umsatzes wegen.


Beispiel 2: Die Bankangestellte B nimmt für C eine Überweisung zur Steuerflucht auf ein ausländisches Konto vor. Dass gerade die Steuerflucht der Zweck der Überweisung ist, hat B als möglich erkannt und billigend in Kauf genommen.


Problembehandlung


Ansicht 1:  Nur sehr vereinzelt wird vertreten, neutrales Verhalten sei genauso als Beihilfe strafbar wie jedes andere Beihilfeverhalten auch, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 27 vorliegen (Hruschka JR 1984, 258 f.; Dörn DStZ 1992, 331 f.; Niedermair ZStW 107 [1995], 508 ff.). Es gebe keinen Grund für eine restriktive Handhabung des § 27 bei angeblich neutralen Verhaltensweisen.


Kritik:  Gibt es keine Restriktion des § 27 im Bereich des Alltagshandelns, so wären soziale Kontakte stets mit einem Misstrauen aus Angst vor Strafbarkeit belastet. Die allgemeine Handlungsfreiheit wie auch Berufsfreiheit würde zu sehr eingeschränkt. Zudem könnten Erbringer von Dienstleistungen oder Händler sich nie sicher sein, dass ihre Leistung oder ihre Waren nicht zur Begehung von Straftaten benutzt werden; annähernd jedes Verhalten kann eine derartige Doppelrelevanz haben. Entsprechende Personen könnten sich daher gezwungen fühlen, ihre geschäftliche Tätigkeit vorsichtshalber einzustellen und würden so massiv in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit als Unternehmer beeinträchtigt (vgl. Münchener Kommentar StGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl. 2020, § 27 Rn. 84).


Ansicht 2:  Andere vertreten gewissermaßen das Gegenteil: Neutrale Handlungen seien bereits aus dem objektiven Beihilfetatbestand auszuschließen. Es könne dann nicht von einer strafbaren Hilfeleistung die Rede sein, wenn die Handlung auch selbstständig, also ohne Bezug zur Haupttat, sinnvoll ist (so z.B. der bloße Verkauf von Gegenständen). Man müsse – und könne – daher den Begriff des "Hilfeleistens" i.S.d. § 27 derart eng auslegen, dass sozialübliche bzw. professionell adäquate Verhaltensweisen auszuschließen seien (Murmann JuS 1999, 548, 552; Hassemer wistra 1995, 41, 81 ff.).


Kritik:  Für eine derart enge Auslegung des "Hilfeleistens" gibt der Wortlaut des § 27 nichts her; im Gegenteil kann rein vom Wortsinn her prinzipiell jede Handlung als Hilfeleistungshandlung durchgehen. Außerdem sind Handlungen nicht per se neutral bzw. sozialtypisch; annähernd jedes Verhalten kann unter weiteren Umständen in einen strafbaren Kontext gestellt werden (BGHSt 46, 107, 113). Im Übrigen erweist sich das vorgebrachte Argument, sozialübliches Verhalten könne nicht strafrechtlich relevant sein, als zirkulär, geht es doch gerade um die Frage, ob alltägliche Handlungen u.U. den Bereich des Sozialadäquaten verlassen und in den denjenigen des Strafbaren übergehen können.


Ansicht 3:  Wieder andere wollen auf die Kriterien der objektiven Zurechnung abstellen: Eine Strafbarkeit sei dann zu bejahen, wenn der potenzielle Gehilfenbeitrag ein über das Erlaubte hinausgehendes Risiko schafft (Wohlers NStZ 2000, 169, 173; Stratenwerth/Kuhlen, 5. Aufl. 2004 § 12 Rn. 161). Allein auf die Regeln der objektiven Zurechnung zurückzugreifen, würde sich indes ebenso wie die zweite Ansicht dem Einwand des Zirkelschlusses entgegensehen, soll doch gerade die Frage beantwortet werden, inwieweit ein rechtlich missbilligtes oder eben ein erlaubtes Risiko geschaffen wurde. Von daher bedarf es weiterer Einschränkungen, um die insoweit für die objektive Zurechnung maßgeblichen Faktoren zu konkretisieren (vgl. Wohlers NStZ 2000, 169, 177 f.; Stratenwerth/Kuhlen § 12 Rn. 161).


So sei der objektive Tatbestand nur dann erfüllt, wenn der Gehilfe die neutrale Handlung der Haupttat anpasst, die Hilfeleistung nur ihm möglich ist (Monopolstellung), spezifische Berufsregeln zum Schutz vor dem Haupttäter verletzt, er den Erfolg kraft seiner Garantenstellung verhindern muss oder die Abwägung von Handlungsfreiheit und Rechtsgüterschutz deutlich zu Gunsten des Rechtsgüterschutzes ausfällt (Frisch Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, 1988, S. 301 ff.). Zur Konkretisierung des letzteren bietet der Katalog des § 138 eine – mit Blick auf Art. 103 II GG gebotene – Orientierung. In einem dem Rechtsgüterschutz verschriebenem Strafrecht bedarf es einer Abwägung zwischen dem Rechtsgüterschutz und der Handlungsfreiheit anhand des Gewichts der in Frage stehenden Straftat (vgl. Wohlers NStZ 2000, 169, 173). Hierfür bietet § 138 eine aussagekräftige Orientierung: Eine äußerlich neutrale Handlung überschreitet dann den Bereich des noch erlaubten Risikos, wenn eine Nichtanzeige der geplanten Straftat nach § 138 strafbar wäre (vgl. Hefendehl Jura 1992, 374, 376 f.).


Kritik:  Dem könnte entgegengehalten werden, dass die Regeln der objektiven Zurechnung auf § 27 wenig passten. Man könne bei der Unterstützung menschlicher Handlungen nicht von der "Setzung eines unerlaubten Risikos" o. ä. sprechen, weil menschliches Verhalten (das des Haupttäters) keinen allgemeingültig formulierbaren Regeln folgt; die Rede von der Setzung eines unerlaubten Risikos widerspräche daher dem Postulat menschlicher Willensfreiheit.


Ansicht 4:  Die Rechtsprechung hingegen sucht die Lösung im subjektiven Tatbestand (vgl. bspw. BGH NJW 2006, 528; BGH NStZ 2000, 34). Sie orientiert sich dabei an folgender Grundformel: „Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß [dolus directus 2. Grades] dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten […]. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens […] war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters ‚angelegen sein‘ ließ (…).“


Kritik:  Es kommt aufgrund der inneren Einstellung zu einer Strafbarkeit des Täters, was im Ergebnis einem verfassungswidrigen Gesinnungsstrafrecht gefährlich nahekommt. Im Übrigen wird nicht geklärt, wann der Haupttäter denn „ausschließlich“ darauf abzielt, eine Straftat zu begehen. So wird es einem Raucher in aller Regel beim Kauf eines Feuerzeugs nicht „ausschließlich“ darauf ankommen, dieses für eine Brandstiftung einzusetzen (er kann es ja auch anderweitig noch verwenden), einem Nichtraucher vielleicht aber schon (MüKo StGB/Joecks/Scheinfeld, § 27 Rn. 89). Auf die Strafwürdigkeit hat diese Differenzierung indes keine Auswirkung (vgl. Systematischer Kommentar StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2017, § 27 Rn. 28).


Ansicht 5: Ein der Rechtsprechung sehr nahekommender Ansatz kombiniert schließlich objektive und subjektive Momente. Während subjektiv entsprechend der Rspr. nach dolus eventualis und dolus directus des möglichen Gehilfen hinsichtlich des Deliktsentschlusses des Haupttäters differenziert wird, stellt dieser Ansatz darüberhinausgehend darauf ab, ob der Gehilfenbeitrag objektiv einen "deliktischen Sinnbezug" aufweise. An einem solchen "deliktischen Sinnbezug" fehle es, "wenn sich der fördernde Beitrag auf eine legale Handlung bezieht, die schon für sich allein genommen für den Täter sinnvoll und nützlich ist, die dieser aber außerdem zur Voraussetzung für ein davon unabhängiges, auf einem selbstständigen Entschluss beruhenden Deliktsverhalten macht" (Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 26 Rn. 224).


Kritik: Auch diese Ansicht sieht sich – wie diejenige der Rechtsprechung – dem Einwand ausgesetzt, zu mitunter nicht mehr nachvollziehbaren Ergebnissen zu gelangen: Verkauft jemand einem anderen ein Feuerzeug und weiß er darum, dass der andere dieses nur dazu benutzen wird, eine schwere Brandstiftung zu begehen, mag man einen „deliktischen Sinnbezug“ annehmen. Ist der potenzielle Täter hingegen Raucher und will er das Feuerzeug nur nebenbei auch für die Brandstiftung verwenden, so fehlt es an besagtem deliktischen Sinnbezug.















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 9.50 Uhr bearbeitet.



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