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Gegenstand von An- und Enteignung







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Aneignung; Zueignung; Gegenstand; Sachwert; Substanz; Vereinigungstheorie; Sachwerttheorie; Substanztheorie


Problemaufriss


Die §§ 242 ff. erfordern subjektiv neben dem Vorsatz die Absicht rechtswidriger Zueignung. Ziel des Täters muss also eine zumindest vorübergehende Aneignung und eine dauerhafte Enteignung des Eigentümers sein. Worauf sich An- und Enteignung beziehen müssen, ist umstritten.


Beispiel 1:  A, der seinen Erzfeind B schon länger wegen dessen teuren Wagens (Wert: 50.000 €) beneidet, entschließt sich zu Folgendem: Er nimmt dem B eines Nachts seinen Wagen weg, nur um ihn am nächsten Tag unter der Bedingung zurückzugeben, dass der B ihm 10.000 € zahlt. Es kommt wie geplant; B gibt der Nötigung zähneknirschend nach und zahlt die 10.000 € an A und erhält dafür seinen Wagen zurück.


Beispiel 2:  C nimmt dem D ein Sparbuch weg, um den darauf gutgeschriebenen Betrag an sich auszahlen zu lassen. Er plant von vornherein, dem D das Buch im Anschluss wieder zurückzugeben.


Problembehandlung


Ansicht 1:  Nach der strengen Substanztheorie (RGSt 10, 369, 370 f.), wie sie heute kaum mehr vertreten wird, setze eine Enteignung voraus, dass der Täter die Sache selbst oder ein Teil derer dem Eigentümer dauerhaft entziehen will. Der Täter müsse die Sache also selbst in sein Vermögen mit dem Ziel einbeziehen, den Berechtigten dauerhaft von seinem Vermögen auszuschließen.


Sowohl im  Beispiel 1  als auch im  Beispiel 2  würde hiernach eine Zueignungsabsicht ausscheiden, da von vornherein geplant ist, das Auto bzw. das Sparbuch später wieder zurückzugeben.


Kritik:  Ein solch restriktives Verständnis wird unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten kritisiert, würden doch mitunter als strafwürdig erscheinende Konstellationen vom Tatbestand des § 242 ausgeschlossen. Insbesondere zeigt sich dies mit Blick auf das Sparbuch im Beispiel 2 (Münchener Kommentar StGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 242 Rn. 132).


Ansicht 2:  Immer öfter vertreten wird die sog. modifizierte Substanztheorie. Hiernach sei Gegenstand der Zueignung nicht die Sache als solche; vielmehr komme es darauf an, dass der Täter sich unter Missachtung der eigentlichen Eigentümerstellung eine eigene hiermit vergleichbare Verfügungsgewalt an der aus dem fremden Gewahrsam entnommenen Sache anmaße (vgl. NomosKommentar StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 242 Rn. 80; MüKo StGB/Schmitz, § 242 Rn. 138 f.). Entscheidend sei also, dass der Täter die fremde Sache in einer Weise in Besitz nimmt, die mit der Anerkennung fremden Eigentums nicht in Einklang zu bringen sei.


Im  Beispiel 1  würde wohl auch diese Meinung eine Zueignung verneinen; denn A möchte das Auto doch gerade unter Anerkennung der Eigentümerstellung des B zurückgeben. Im  Beispiel 2  hingegen würde eine Zueignung bejaht (vgl. MüKo StGB/Schmitz, § 242 Rn. 138). Denn wer mit einem Sparbuch zur Auszahlung zur Bank geht, maße sich zum einen die Stellung eines Eigentümers an, weil das Recht an dem Sparbuch dem Recht an der Forderung folgt (NK StGB/Kindhäuser § 242 Rn. 102). Zum andere beraube er das Sparbuch seiner einzigen Funktion, was zu dessen substanzieller Veränderung führe (MüKo StGB/Schmitz, § 242 Rn. 141).


Kritik:  Hiergegen wird angeführt, dass die Behauptung, Wertpapiere würden durch Gebrauch ihrer Funktion beraubt, eine Fiktion sei, die unter Bestimmtheitsgesichtspunkten (Art. 103 II GG) problematisch sei (Schönke/Schröder StGB/Bosch, § 242 Rn. 49).


Ansicht 3:  Die ebenfalls kaum mehr vertretene weite Sachwerttheorie (RGSt 40, 10, 12) wiederum fragt einzig danach, ob der Sachwert der entwendeten Sache dauerhaft in das Vermögen des Täters eingegliedert werden soll. Der Täter könne das Eigentumsrecht doch in der Regel gar nicht entziehen, sodass eine wirtschaftliche Betrachtungsweise angezeigt sei.


Diese Ansicht würde sowohl in  Beispiel 1  als auch in  Beispiel 2  eine Zueignungsabsicht bejahen.


Kritik:  Gegenstand einer Zueignungshandlung kann nur eine bestimmte körperliche Sache sein, niemals irgendein abstrakter Wert oder ein Recht als solches. Die weite Sachwerttheorie überspannt insofern den Wortlaut des § 242, der verlangt, dass sich der Täter „die Sache“ zueignet; ein Ergebnis, das in Anbetracht des nullum-crimen Satzes (Art. 103 II GG) verfassungsrechtlich nicht haltbar ist (NK StGB/Kindhäuser, § 242 Rn. 76). Schließlich macht die weite Sachwerttheorie aus den Eigentumsdelikten reine Vermögensverschiebungsdelikte und verwischt daher jedwede Grenzziehung zu den Vermögensdelikten (MüKo StGB/Schmitz, § 242 Rn. 136).


Ansicht 4:  Die heute herrschende sog. Vereinigungstheorie kombiniert Substanz- und Sachwerttheorie. Gegenstand der Zueignung könne also entweder die Sache selbst (Substanzgedanke) oder aber der in ihr verkörperte Sachwert (Sachwertgedanke) sein (Schönke/Schröder/Bosch StGB, 30. Aufl. 2019, § 242 Rn. 49; BeckOK StGB/Wittig, 45. Edition 2020, § 242 Rn. 31; Lackner/Kühl/Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 242 Rn. 21 f.; Wessels NJW 1965, 1153, 1157 f.). Freilich werden aufgrund oben genannter Kritik gegen die Weite des Sachwertgedankens für dessen Einbeziehung Einschränkungen gemacht, deren Einzelheiten abermals umstritten sind. Nach wiederum herrschender Auffassung sei insoweit ein restriktiver Sachwertbegriff angezeigt. Hiernach sei allein der unmittelbar in der Sache selbst verkörperte Wert („lucrum ex re“) zueignungsfähig. Der bloße Wert, der mit der Sache erzielt werden kann („lucrum ex negotio cum re“) müsse als Gegenstand der Zueignung hingegen ausscheiden (BeckOK StGB/Wittig, § 242 Rn. 31; Schönke/Schröder/Bosch StGB, § 242 Rn. 49).


Im  Beispiel 1  würde hiernach eine Zueignungsabsicht verneint, denn der Wagen soll nach der Rückgabe an B nicht weniger Wert („lucrum ex re“) sein, als zuvor. Im  Beispiel 2  hingegen wird eine Zueignungsabsicht bejaht (Schönke/Schröder StGB/Bosch, 30. Aufl. 2019, § 242 Rn. 49), denn mit der Geldabnahme werde dem Sparbuch sein spezifischer Sachwert entzogen.


Hinweis: Wie an den Beispielen erkennbar wird, werden die modifizierte Substanztheorie und die Vereinigungstheorie in den meisten Fällen zu gleichen Ergebnissen kommen.


Kritik:  Auch hier wird im Ergebnis an den Sachwert angeknüpft und nur, weil dies zu einer nicht hinnehmbaren Weite führen würde, einschränkend auf die Sachsubstanz („Wert der Sache selbst“) abgestellt. Man kann hiergegen also durchaus anführen, dass die Anknüpfung an eine bedenkliche Prämisse nicht dadurch unbedenklich wird, dass man diese mit einer anderen (der Sachsubstanz) verknüpft (MüKo StGB/Schmitz § 242 Rn. 137).















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 14.26 Uhr bearbeitet.



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