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Abwehrprovokation







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Notwehr; Erforderlichkeit; Abwehr; Abwehrprovokation; Aufrüstung; Bewaffnung; Einschränkungen; actio illicita in causa


Problemaufriss


Beispiel: A will den Abend in einer Kneipe verbringen. Er hält es für gut möglich, dass sich dort auch der mit ihm verfeindete B aufhält, mit dem es schon mehrmals zu schweren körperlichen Auseinandersetzungen gekommen ist. A will zwar keine Konfrontation, erwartet aber von B angegriffen zu werden. Daher nimmt er gezielt statt seines Messers seine Pistole mit, um sich ggf. besser verteidigen zu können. In der Kneipe kommt es tatsächlich zu einem Streit mit dem körperlich überlegenen B. Überraschend holt B mit einem schweren Bierkrug aus, um ihn A auf den Kopf zu schlagen. A zieht blitzschnell seine Pistole, drückt ab und trifft B tödlich. Hätte er das Messer bei sich gehabt, hätte ein Stich in den Arm genügt, um B abzuwehren.
Fraglich ist, ob das Notwehrrecht des A eingeschränkt werden muss. Zwar setzte er ein konkret erforderliches Verteidigungsmittel ein. Aber im Vorfeld rüstete er sich mit einem gefährlicheren Abwehrmittel (Pistole) aus; hätte er das weniger gefährliche Werkzeug mitgenommen (Messer), hätte dieses zur Verteidigung ausgereicht.


Problembehandlung


Ansicht 1: Grundsätzlich ist in solchen Fällen nur der Angreifer für die Notwehrlage verantwortlich und muss sich daher dem Angegriffenen so annehmen, wie er in ihn der Situation vorfindet.  Eine Einschränkung des Notwehrrechts kommt nur in Frage, wenn der später Angegriffene das ungefährlichere Abwehrmittel gezielt nicht mitnimmt, um den Angreifer dann schwerer verletzen zu können (Schönke/Schröder/Perron/Eisele StGB, 30. Aufl. 2019, § 32 Rn. 61b; Rengier Strafrecht AT, 12. Aufl. 2020, § 18 Rn. 101 f.).


Subsumbtion: Im oben genannten Beispiel hat A das ungefährlichere Abwehrmittel (Messer) gezielt nicht mitgenommen, um den B dann schwerer (mit der Pistole) verletzen zu können. Daher ist nach dieser Ansicht das Notwehrrecht des A einzuschränken.


Kritik: Bei der Angriffsprovokation wird das Notwehrrecht eingeschränkt, da der Angegriffene die Situation, in der er von den üblichen Schutzmechanismen der Rechtsgemeinschaft abgeschnitten ist, selbst verursacht hat. Damit trägt er auch eine Teilverantwortlichkeit für die Gefährdung seiner Rechtsgüter durch den Angreifer. Im Fall der Abwehrprovokation hat der Angegriffene hingegen nichts zur Entstehung der Situation beigetragen. Seine Interessen überwiegen daher weiterhin die Interessen des Angreifers. Außerdem überschreitet der Angegriffene mit der Vorbereitung auf die Notwehrsituation nicht die Grenze des erlaubten Risikos und verletzt mit dem Unterlassen einer besonders geeigneten Vorbereitung keine Rechtspflicht. Zusätzlich liegt hier, anders als bei der Angriffsprovokation, kein Rechtsmissbrauch des Verteidigers vor (Leipziger Kommentar/Rönnau/Hohn, 13. Aufl. 2019, § 32 Rn. 189, 248; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 50. Aufl. 2020, Rn. 534 ff). Der Angreifer muss den Angegriffenen folglich generell so nehmen, wie er ihn vorfindet. Es liegt keine vorwerfbare Provokation des Angriffs vor (Münchener Kommentar StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 32 Rn. 236).


Ansicht 2: Bei der Abwehrprovokation ist keinerlei Einschränkung des Notwehrrechts vorzunehmen. Der Angreifer muss den Angegriffenen so nehmen, wie er ihn vorfindet (Münchener Kommentar StGB/Erb, § 32 Rn. 236).


Subsumtion: Nach dieser Ansicht ist das Notwehrrecht des A also nicht einzuschränken.


Kritik: Der Fall der Hochrüstung, um den späteren Angreifer schwerer verletzen zu können, weist deutliche Parallelen zur Absichtsprovokation auf. Dies muss als Einschränkung des Notwehrrechts auf Ebene der Gebotenheit berücksichtigt werden (Rengier Strafrecht AT, § 18 Rn. 102).


Ansicht 3: Eine dritte Auffassung löst das Problem der Abwehrprovokation über die Konstruktion der actio illicita in causa, wonach die Rechtswidrigkeit jeder zum Erfolg führenden Handlung einzeln untersucht werden muss (Frister Strafrecht AT, 9. Aufl. 2020, 14. Kapitel Rn. 6, 16. Kapitel Rn. 32).


Subsumbtion: Nach dieser Ansicht wäre A bzgl. der vorhersehbaren Verletzung/Tötung des B auf Grund von Notwehr gerechtfertigt. Jedoch würde eine Strafbarkeit durch das Anknüpfen an sein Vorverhalten - das vorwerfbare Herbeiführen der Situation - erreicht werden. A hätte sich also trotzdem gem. § 223/§ 212 strafbar gemacht (Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 7 Rn. 242 f.) bzw. nach der Rechtsprechung zumindest wegen fahrlässiger Körperverletzung/Tötung (vgl. BGH NJW 2001, 1075).


Kritik: Schon die Figur der actio illicita in causa ist aufgrund des Widerspruchs abzulehnen, dass durch sie ein und dieselbe Handlung sowohl als rechtmäßig als auch als rechtswidrig beurteilt wird (Roxin Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 15 Rn. 68). Als rechtmäßig wird die Handlung aufgrund einer Rechtfertigung durch Notwehr, als rechtswidrig aufgrund eines durch die actio illicita in causa in Gang gesetzten Vorsatzdelikts angesehen. Die Rechtfertigung wird also nur "scheinhaft zugebilligt" (Roxin Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 15 Rn. 68).
Gegen die Ansicht der Rechtsprechung, die trotz Rechtfertigung zu einer Verurteilung wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts kommt (BGH NJW 2001, 1075), spricht, dass für die strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht nur eine Kausalität zwischen Handlung und Erfolg vorliegen muss, sondern der Erfolg dem Täter auch objektiv zurechenbar sein muss. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn sich das durch die Handlung gesetzte rechtlich missbilligte Risiko auch im Erfolg verwirklicht. Die Zurechenbarkeit ist hingegen ausgeschlossen, wenn ein erlaubtes Zwischenstadium eintritt. Dies ist aber genau dann der Fall, wenn die Handlung des Angegriffenen durch § 32 gerechtfertigt ist (Leipziger Kommentar StGB/Rönnau/Hohn, 12. Aufl. 2006, § 32 Rn. 257). Eine Aufteilung in einen rechtswidrigen Veranlassungs- und einen rechtmäßigen Notwehrteil ist zwar denkbar, eine Bestrafung ist jedoch nur möglich, wenn die rechtswidrige Vorhandlung auch zu einem Unrechtserfolg geführt hat. Dieser liegt aber nicht vor, wenn die Notwehrhandlung gerechtfertigt war. Der übrig bleibende fahrlässige Handlungsunwert begründet allein keine Strafbarkeit. Ein und derselbe Erfolg kann nicht zugleich rechtmäßig und rechtswidrig sein (Roxin JZ 2001, 667, 668).















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 9.27 Uhr bearbeitet.



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