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Abwehrprovokation

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<h3>Tags</h3> <p>Notwehr; Erforderlichkeit; Abwehr; Abwehrprovokation; Aufr&uuml;stung; Bewaffnung; Einschr&auml;nkungen; actio illicita in causa</p> <h3>Problemaufriss</h3> <p><strong>Beispiel:</strong>&nbsp;A will den Abend in einer Kneipe verbringen. Er h&auml;lt es f&uuml;r gut m&ouml;glich, dass sich dort auch der mit ihm verfeindete B aufh&auml;lt, mit dem es schon mehrmals zu schweren k&ouml;rperlichen Auseinandersetzungen gekommen ist. A will zwar keine Konfrontation, erwartet aber von B angegriffen zu werden. Daher nimmt er gezielt statt seines Messers seine Pistole mit, um sich ggf. besser verteidigen zu k&ouml;nnen. In der Kneipe kommt es tats&auml;chlich zu einem Streit mit dem k&ouml;rperlich &uuml;berlegenen B. &Uuml;berraschend holt B mit einem schweren Bierkrug aus, um ihn A auf den Kopf zu schlagen. A zieht blitzschnell seine Pistole, dr&uuml;ckt ab und trifft B t&ouml;dlich. H&auml;tte er das Messer bei sich gehabt, h&auml;tte ein Stich in den Arm gen&uuml;gt, um B abzuwehren.</p> <p>Diese Konstellation wird unter den Begriff &bdquo;Abwehrprovokation&ldquo; gefasst. Fraglich ist, ob das Notwehrrecht in diesen F&auml;llen eingeschr&auml;nkt werden muss. Zwar wird ein konkret erforderliches Verteidigungsmittel eingesetzt. Aber im Vorfeld r&uuml;stet sich der T&auml;ter mit einem gef&auml;hrlicheren Abwehrmittel (hier Pistole) aus; h&auml;tte er das weniger gef&auml;hrliche Werkzeug mitgenommen (hier Messer), h&auml;tte dieses zur Verteidigung ausgereicht.</p> <h3>Problembehandlung</h3> <p><strong>Ansicht 1:</strong>&nbsp;Nach&nbsp;<strong>h.M.</strong>&nbsp;sei bei der Abwehrprovokation&nbsp;<strong>keinerlei Einschr&auml;nkung</strong>&nbsp;des Notwehrrechts vorzunehmen. Der Angreifer m&uuml;sse den Angegriffenen so nehmen, wie er ihn vorfindet. Allein durch die Wahl der Kleider und Mitnahme bestimmter Gegenst&auml;nde d&uuml;rfe dem Rechtsverteidiger kein Vorwurf gemacht werden (M&uuml;Ko StGB/<em>Erb</em>,&nbsp;4. Aufl. 2020. &sect;&nbsp;32 Rn.&nbsp;236;&nbsp;<em>Wessels/Beulke/Satzger</em>&nbsp;Strafrecht AT, 53. Aufl. 2023, Rn. 537).</p> <p><strong>Subsumtion:</strong>&nbsp;Nach dieser Ansicht ist das Notwehrrecht des A also nicht einzuschr&auml;nken.</p> <p><strong>Kritik:</strong>&nbsp;Der Fall der Hochr&uuml;stung, um den sp&auml;teren Angreifer schwerer verletzen zu k&ouml;nnen, weist deutliche Parallelen zur Absichtsprovokation auf. Dies muss als Einschr&auml;nkung des Notwehrrechts auf Ebene der Gebotenheit ber&uuml;cksichtigt werden (<em>Rengier</em>&nbsp;Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, &sect; 18 Rn.&nbsp;102).</p> <p><strong>Ansicht 2:</strong>&nbsp;Teilweise wird die h.M. modifiziert, indem eine Einschr&auml;nkung des Notwehrrechts (Ausweichen, Schutzwehr, Trutzwehr) dann in Frage komme, wenn der sp&auml;ter Angegriffene das ungef&auml;hrlichere Abwehrmittel&nbsp;<strong>gezielt nicht mitnehme</strong>, um den Angreifer dann schwerer verletzen zu k&ouml;nnen (Sch&ouml;nke/Schr&ouml;der/<em>Perron/Eisele</em>&nbsp;StGB, 30.&nbsp;Aufl. 2019, &sect;&nbsp;32 Rn.&nbsp;61b;&nbsp;<em>Rengier</em>&nbsp;Strafrecht AT, &sect;&nbsp;18 Rn.&nbsp;101 f.).</p> <p><strong>Subsumtion:</strong>&nbsp;A hat das ungef&auml;hrlichere Abwehrmittel (Messer) gezielt nicht mitgenommen, um den B dann schwerer (mit der Pistole) verletzen zu k&ouml;nnen. Daher ist nach dieser Ansicht das Notwehrrecht des A einzuschr&auml;nken.</p> <p><strong>Kritik:</strong>&nbsp;Bei der&nbsp;<strong><a href="https://strafrecht-online.org/problemfelder/at/rw/notwehr/leichtfertige-angriffsprovokation/">Angriffsprovokation</a></strong>&nbsp;wird das Notwehrrecht eingeschr&auml;nkt, da der Angegriffene die Situation, in der er von den &uuml;blichen Schutzmechanismen der Rechtsgemeinschaft abgeschnitten ist, selbst verursacht hat. Im Fall der Abwehrprovokation hat der Angegriffene hingegen nichts zur Entstehung der Situation beigetragen. Seine Interessen &uuml;berwiegen daher weiterhin die Interessen des Angreifers. Au&szlig;erdem &uuml;berschreitet der Angegriffene mit der Vorbereitung auf die Notwehrsituation nicht die Grenze des erlaubten Risikos und verletzt mit dem Unterlassen einer besonders geeigneten Vorbereitung keine Rechtspflicht. Zus&auml;tzlich liegt hier, anders als bei der Angriffsprovokation, kein Rechtsmissbrauch des Verteidigers vor (Leipziger Kommentar/<em>R&ouml;nnau/Hohn</em>, 13.&nbsp;Aufl. 2019, &sect;&nbsp;32 Rn.&nbsp;189, 248;&nbsp;<em>Wessels/Beulke/Satzger</em>&nbsp;Strafrecht AT, Rn. 537). Der Angreifer muss den Angegriffenen folglich generell so nehmen, wie er ihn vorfindet. Es liegt keine vorwerfbare Provokation des Angriffs vor (M&uuml;Ko StGB/<em>Erb</em>, &sect;&nbsp;32 Rn.&nbsp;236).</p> <p><strong>Ansicht 3:</strong>&nbsp;Eine dritte Auffassung l&ouml;st das Problem der Abwehrprovokation &uuml;ber die Konstruktion der&nbsp;<strong>actio illicita in causa</strong>, wonach die Rechtswidrigkeit jeder zum Erfolg f&uuml;hrenden Handlung einzeln untersucht werden muss (<em>Frister</em>&nbsp;Strafrecht AT, 10.&nbsp;Aufl. 2023, 14.&nbsp;Kapitel Rn.&nbsp;6, 16.&nbsp;Kapitel Rn. 32; BGH NJW 2001, 1075).</p> <p><strong>Subsumbtion:</strong>&nbsp;Nach dieser Ansicht w&auml;re A bzgl. der vorhersehbaren Verletzung/T&ouml;tung des B auf Grund von Notwehr gerechtfertigt.&nbsp;Jedoch w&uuml;rde&nbsp;eine Strafbarkeit durch das&nbsp;Ankn&uuml;pfen an sein Vorverhalten - das Mitnehmen der Pistole -&nbsp;erreicht werden.</p> <p><strong>Kritik:</strong>&nbsp;Schon die Figur der actio illicita in causa ist aufgrund des Widerspruchs abzulehnen, dass durch sie ein und dieselbe Handlung sowohl als rechtm&auml;&szlig;ig als auch als rechtswidrig beurteilt wird. Als rechtm&auml;&szlig;ig wird die Handlung aufgrund einer Rechtfertigung durch Notwehr, als rechtswidrig aufgrund eines durch die actio illicita in causa in Gang gesetzten Vorsatzdelikts angesehen. Die Rechtfertigung wird also nur "scheinhaft zugebilligt". (<em>Roxin/Greco</em> Strafrecht AT I, 5. Aufl. 2020, &sect; 15 Rn. 68). Auch erscheint es schwierig, die Aufr&uuml;stungshandlung als K&ouml;rperverletzung zu bestrafen (K&uuml;hl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, &sect; 7 Rn. 243)</p>

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