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Eindringen durch Unterlassen







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Eindringen; Hausfriedensbruch; Unterlassen; Garantenstellung; Ingerenz; Überwachungsgarant; Beschützergarant


Problemaufriss


Ob § 123 I Var. 1 auch durch unechtes Unterlassen gem. § 13 verwirklicht werden kann, ist umstritten (ausführlich hierzu Kareklas FS Lenckner, 1998, S. 459 ff.).


Es werden drei Konstellationen diskutiert:


(1) Ein Überwachungsgarant (z.B. die Mutter) hindert die zu überwachende Person (z.B. 13-jähriger Sohn) nicht am aktiven Eindringen. Diese nicht oft vorkommende Situation wird allgemein als Eindringen durch Unterlassen anerkannt.


(2) Jemand dringt gegen den Willen des Berechtigten (zunächst ohne Vorsatz, gerechtfertigt oder entschuldigt) in den geschützten Bereich ein und verlässt diesen dann nicht.


(3) Eine Person überschreitet eine zeitlich begrenzte Zutrittserlaubnis und entfernt sich nicht rechtzeitig aus dem Schutzbereich.


Beispiel: A betritt in Diebstahlsabsicht ein großes Einkaufszentrum gegen 19:45 Uhr und hält sich verborgen, damit er nach Geschäftsschluss um 20:00 Uhr eingesperrt in Ruhe die Tat durchführen kann, was ihm auch gelingt.


Problembehandlung


Die Fallgruppen (2) und (3) sind strittig.


Ansicht 1: Nach herrschender Meinung wird hier ein Eindringen durch unechtes Unterlassen bejaht (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schittenhelm StGB, 30. Aufl. 2019, § 123 Rn. 13; Kindhäuser Strafrecht BT I, 8. Aufl. 2017, § 33 Rn. 29 ff.; BGHSt 21, 224 ff.). Der Dauerdeliktscharakter des § 123 wird zugrunde gelegt, wobei die Garantenstellung aus dem Vorverhalten bzw. dem Aufrechterhalten des Dauerzustandes abgeleitet wird (s. Ingerenz). Das widerrechtliche Eindringen wiederum wird letztlich in dem unbefugten Verweilen entgegen einer Rückkehrpflicht gesehen.


Kritik: Gegen diese Auffassung spricht schon der Wortlaut des § 123 I Var. 1, der mit dem "Eindringen in..." auf ein tatsächlich tätigkeitgebundenes Verhalten hindeutet (Rengier Strafrecht BT II, 22. Aufl. 2021, § 30 Rn. 17; Leipziger Kommentar StGB/Krüger, 13. Aufl. 2021, § 123 Rn. 71). Außerdem wird die 2. Var. des § 123 dadurch umgangen, indem ein typisches Verweilen in ein Eindringen durch Unterlassen umgedeutet wird, wodurch das Aufforderungsmerkmal an Bedeutung verliert (Rengier Strafrecht BT, § 30 Rn. 17; Studienkommentar Joecks/Jäger, 13. Aufl., 2021, § 123 Rn. 33).


Ansicht 2: Eine Mindermeinung verneint ein Eindringen durch Unterlassen. Zum einen sei das Eindringen eine verhaltensgebundene Handlung und zum anderen werde das Unterlassen in der 2. Var. speziell erfasst (LK/Krüger, § 123 Rn. 71; Nomos Kommentar StGB/Ostendorf, 5. Aufl. 2017, § 123 Rn. 27).


Kritik: Gegen diese Ansicht spricht jedoch, dass § 123 kein eigenhändiges Delikt ist. Zudem wird beim Eindringen durch Unterlassen gegenüber dem bloßen Sich-nicht-Entfernen eine Garantenstellung vorausgesetzt. Folglich ist die 2. Tatvariante, die lediglich ein Auffordern voraussetzt, keine speziellere Verhaltensweise, sondern stellt eine weitere, das Eindringen vervollständigende, Verhaltensweise dar (Kindhäuser Strafrecht BT I, § 33 Rn. 32).


Zum Beispiel von oben:


Hat sich A gem. § 123 I strafbar gemacht?


A hat sich nach h.M. beim Betreten des Einkaufszentrums trotz seiner Diebstahlsabsicht noch nicht gem. § 123 I 1. Var. strafbar gemacht, da er sich objektiv im Rahmen der gerenellen Zutrittserlaubnis bewegt. Fraglich ist, ob er durch das Verweilen ohne Erlaubnis nach 20:00 Uhr den Tatbestand der §§ 123 I 1. Var., 13 erfüllt hat.


Das Verweilen des A nach Geschäftsschluss war pflichtwidrig, denn er hat durch sein Verhalten eine zeitlich begrenzte Aufenthaltserlaubnis überschritten, sodass ebenfalls eine Garantenstellung aus Ingerenz gegeben ist. Somit wäre A nach Ansicht 1 gem. §§ 123 I 1. Var., 13 strafbar.


Die Gegenansicht würde eine Strafbarkeit gem. §§ 123 I 1. Var., 13 verneinen und anschließend § 123 I 2. Var. erörtern. Hier könnte man dann, wenn Durchsagen oder Klingelzeichen fehlen, die Aufforderung in dem vorweg erfolgten Hinweis auf den Geschäftsschluss sehen. Anschließend würde sich jedoch die streitige Konkurrenzfrage nach Tateinheit oder Tatmehrheit zwischen § 123 und § 242 stellen, da der von A beabsichtigte Diebstahl zum Zeitpunkt des Hausfriedensbruchs das Stadium des § 22 noch nicht erreicht hatte.















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 14.01 Uhr bearbeitet.



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