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Im Auge des Betrachters - die Bilanz des Heiko Maas
Ungläubig wird Heiko Maas am Wahlabend zur Kenntnis genommen haben, dass zwar allenthalben irgendetwas bedauert wurde – hier der Erfolg der dumpfen Rechtspopulisten, dort die Marginalisierung einer einstmalig stolzen Volkspartei – , keiner jedoch die eigentliche Tragik des Wahlausgangs zu begreifen schien, die ja unzweifelhaft darin bestand, dass dem Land ein famoser Justizminister abhandenkommen würde. Einer, der problemlos Akribie mit Glamour verbindet. Einer, der es noch versteht, eine etwa holprige BUNTE-Homestory mit der Partnerin politisch wegzustecken (Grüße nach Schleswig-Holstein, Herr Albig). Und einer, der jüngst in der Zeitschrift für Rechtspolitik in einer Bilanz der nun abgelaufenen Legislaturperiode ein exzellentes Zeugnis ausgestellt bekam (ZRP 2017, 130 ff.). Von einem „modernen Recht für eine moderne Gesellschaft“ war da die Rede, von gestärkten Verbrauchern und besser geschützten Polizisten, schließlich von „mehr Fairness im Recht“.
Der Vollständigkeit halber sei die Ungewöhnlichkeit erwähnt, dass Aussteller des Zeugnisses der Bewertete selbst war. Aber mal ehrlich: das kann man ja auch wirklich nicht den Bürgern überlassen, die Maas in einem Minister-Ranking im Frühjahr noch auf einen inakzeptablen fünften Rang verwiesen. Oder gar diesen möchtegern-sachverständigen Rechtswissenschaftlern, die schon in den parlamentarischen Beratungen zu den wahrlich formidabel vorbereiteten Gesetzentwürfen bisweilen so miesepetrig das Gesicht verzogen. Nein, nein, das muss man schon selbst machen. Darf schließlich nicht untergehen, dass in vier Jahren sage und schreibe 95 Gesetzentwürfe beschlossen wurden, was nun wirklich von einem „hohen politischen Gestaltungswillen“ zeuge.
Zugegeben, mit den gesetzlichen Details zu Mietpreisbremse, Maklerkosten oder Kleinanlegerschutz kennen wir uns schlicht nicht gut genug aus, um am Lack der ministeriellen Selbstzufriedenheit zu kratzen. Das soll Frau Künast machen . Was allerdings das Strafrecht betrifft, so sind wir dezidiert der Auffassung, dass dieses als schärfstes Schwert des Staates in einer liberalen Gesellschaft fragmentarisch zu bleiben hat, also auf solche Verhaltensweisen zu beschränken ist, die für ein friedliches und geordnetes soziales Zusammenleben unerträglich sind. Vor diesem Hintergrund ist legislatorische Hyperaktivität selten ein gutes Zeichen. Und tatsächlich: Die lange Liste der unter Maas beschlossenen strafrechtlichen Änderungsgesetze ist geprägt von bedenklichen Neu-Pönalisierungen, fragwürdigen Strafschärfungen und der grundrechtsinvasiven Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen.
Die Reform des Sexualstrafrechts ist mindestens umstritten. Die grundlegende Umgestaltung des § 177 StGB nach dem „Nein heißt Nein“-Modell sowie die Einführung des § 184i StGB lassen systematische Klarheit vermissen und könnten die Gerichte aufgrund ihrer offenen Begrifflichkeiten vor erhebliche Anwendungsprobleme stellen. Dass § 184j StGB neuerdings die bloße Beteiligung an einer Gruppe unter Strafe stellt, aus der heraus irgendeine Person eine sexuelle Belästigung begeht, ohne dass es auf eine objektiv feststellbare Förderung der Gruppendynamik oder einen auf die Begehung gerade eines Sexualdeliktes gerichteten Vorsatz ankommt, dient wohl allein Gründen der Beweiserleichterung und ist mit dem Schuldprinzip schwer zu vereinbaren.
Mit dem Anti-Doping-Gesetz sowie den neuen Tatbeständen des Sportwettbetrugs und der Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe (§§ 265c, 265d StGB) ernannte sich der Staat kurzerhand selbst zum Retter der Integrität im Leistungssport. Um was es sich bei dieser Integrität genau handelt, bleibt offen. Versuche einer präzisen Rechtsgutsbestimmung enden jedenfalls in moralischen Erwartungshaltungen (Fair-Play, Sportethos) oder Konglomeraten allenfalls mittelbar tangierter Schutzinteressen.
In Form der Terrorismusfinanzierung (§ 89c StGB) fand ein weiterer sogenannter Vorfeldtatbestand Einzug ins StGB, der mit dem Sammeln bzw. Zur-Verfügung-Stellen von Vermögenswerten eine an sich sozial adäquate Handlung ohne Bezug zu einer Rechtsgutsschädigung als Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit festsetzt und die Grenzen zwischen Täterschaft und Teilnahme verwischt.
Und sonst so? Eine Initiative gegen Hasskriminalität mit der Folge, dass die Gesinnung des Täters bei der Strafzumessung nun in stärkerem Ausmaß berücksichtigt wird als sich dies für ein dem tatspezifischen Rechtsgüterschutz verpflichteten Strafrecht gehört. Eine symbolhafte Erhöhung der Mindeststrafen für Wohnungseinbruchsdiebstähle und tätliche Angriffe gegen Polizisten in Ausblendung der empirischen Erkenntnisse über die fehlende abschreckende Wirkung abstrakter Strafdrohungen. Und schließlich ein noch eilig beschlossener Tatbestand zur Strafbarkeit illegaler Autorennen (§ 315d StGB).
Nun sollen die vereinzelten Beispiele einer gegenläufigen Tendenz nicht verschwiegen werden. Zur Abschaffung des Tatbestands der Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter (§ 103 StGB) trug die öffentliche Empörung über Erdogan allerdings mehr bei als die seit Jahrzehnten im Schrifttum geäußerten und resonanzlos verklungenen systematischen Bedenken.
Nimmt man die Neuauflagen der tief in Freiheitsrechte eingreifenden und in früheren Formen bereits bundesverfassungsgerichtlich zurückgewiesenen Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung hinzu, wird man dem wohlwollenden Tenor der selbstverfassten Bilanz kaum beipflichten können. Unter Maas verfestigte sich der bereits zuvor eingeschlagene Weg einer Umdeutung des Strafrechts in ein flexibles Interventionsrecht, dem man die effektive Bekämpfung allerlei sozialer Schieflagen zutraut und zuweist. Neue gesellschaftliche Herausforderungen (Digitalisierung, Kollision kultureller Wertvorstellungen) mögen auch das Strafrecht zu Anpassungen zwingen. Eine Rechtfertigung zur Missachtung notwendiger strafrechtslimitierender Grundsätze und verfassungsrechtlicher Vorgaben liefern sie nicht.