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BVerfG – Vorratsdatenspeicherung ja, aber …
Das Bundesverfassungsgericht hat die dritte und wohl wichtigste Entscheidung zu Überwachungsmaßnahmen innerhalb weniger Wochen getroffen. Danach ist die Vorratsdatenspeicherung, also die anlasslose Sammlung von Verkehrsdaten, die bei der Telekommunikation anfallen (z.B. Telefonnummern des Anrufenden und Angerufenen, Dauer des Gesprächs, Standortdaten bei Telekommunikation über das Handy und ab 2009 vergleichbare Daten bei der Nutzung des Internets), zumindest vorerst erlaubt. Die Weitergabe der Daten an die Strafverfolgungsbehörden ist jedoch nur eingeschränkt rechtmäßig.
Das Gute zuerst. Das Bundesverfassungsgericht hat einstweilig (bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache) die Überwachungskompetenzen der Strafverfolgungsbehörden, die ihnen der Gesetzgeber verliehen hat, beschränkt. Und dies obwohl das angegriffene Gesetz aufgrund einer europäischen Richtlinie ergangen ist, mithin die Überprüfungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts eingeschränkt sind. Die auf Vorrat gespeicherten Daten dürfen nun erstmal nur dann abgefragt werden, wenn ein Tatverdacht auf eine schwere Straftat besteht, die im Katalog des § 100a II StPO aufgeführt ist und auch im Einzelfall schwer wiegt. Dabei merkt das Verfassungsgericht selbst an, dass dieser Katalog sehr weit ist, zieht daraus aber zumindest vorerst keine Konsequenzen. Werden von den Strafverfolgungsbehörden Daten abgefragt, um andere weniger gewichtige Straftaten zu verfolgen, so sind diese Daten zwar von den Telekommunikationsanbietern zu erheben und aufzubewahren, aber vorerst, bis zu einer Entscheidung in der Hauptssache nicht herauszugeben.
Nun das Bedenkliche. Es dürfen personenbezogenen Daten von nahezu jedem ohne Anlass gespeichert werden. Bzgl. der konkreten Eingriffsqualität solcher Speicherungen, hier als Beeinträchtigung des Art. 10 GG, bei sonstigen Daten wäre das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen, hält sich das Verfassungsgericht bedeckt. „Ein besonders schwerwiegender und irreparabler Nachteil, der es rechtfertigen könnte, den Vollzug der Norm ausnahmsweise im Wege einer einstweiligen Anordnung auszusetzen, liegt in der Datenspeicherung allein nicht.“ Jedenfalls soll also die Speicherung nicht besonders schwerwiegend und irreparabel sein. Inwieweit ein Eingriff oder auch ein schwerwiegender Eingriff durch die Speicherung der Daten vorliegt, der nur in eng begrenzten Ausnahmenfälle zu rechtfertigen sein kann, wird nicht deutlich. Betrachtet man den Beschluss im Zusammenhang mit der Entscheidung zur automatischen Kennzeichenerfassung, bei dem eine Erfassung des Autokennzeichens und ein Abgleich mit einer Fahndungsdatei als solche (solange der Abgleich nicht zu einem Treffer führt und die Daten dann sofort wieder gelöscht werden) nicht als Eingriff angesehen wurde, wird man nachdenklich. Es kommt die Befürchtung auf, dass die Relevanz der Speicherung und die sich daraus ergebenden Einschüchterungseffekte für die Bevölkerung zwar floskelhaft wiedergegeben werden, aber keine beschränkende Wirkung mehr entfalten.
Die Zeiten einer substanziellen Wirkung der Grundsätze des Volkszählungsurteils aus dem Jahre 1983 scheinen vorbei zu sein. Darin hieß es noch: „Ein Zwang zur Abgabe personenbezogener Daten setzt voraus, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und dass die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind. Damit wäre eine Sammlung nicht anonymisierter Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken nicht zu vereinbaren.“ Das Bundesverfassungsgericht hat explizit nicht über die in § 113b TKG vorgesehene Nutzung der Daten zu präventiven Zwecken und für die Geheimdienste entschieden, da hierzu bisher keine konkreten Regelungen für eine Abfrage bestehen. Wie unbestimmt und unbestimmbar müssen die Zwecke der Speicherung denn noch sein?
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