22.12.2011


Jenseits der Rache oder die Verbrämung derselben?

Tonio Walter bereitet allen StrafrechtsprofessorInnen und am Zweck des Strafrechts Interessierten über die ZEIT ein Weihnachtsgeschenk und verteilt gleich einmal ein knappes "ausreichend" an erstere. Denn sie würden nur ungern zugeben, dass die Vergeltung ein legitimer Strafzweck sei.

Was mit denen ist, die es nicht lediglich "nur ungern zugeben", sondern gar bestreiten, wird nicht ganz deutlich. Vermutlich müssen sie aus dem Dienst entfernt werden.

Wenige Zeilen bei Roxin (§ 3 Rn. 8) reichen aus, um Walters Plädoyer für eine Rückbesinnung auf den Vergeltungsgedanken als Populismus zu entlarven:

"Wenn die Aufgabe des Strafrechts im subsidiären Rechtsgüterschutz besteht, dann darf es sich zur Erfüllung dieser Aufgabe nicht einer Strafe bedienen, die von allen sozialen Zwecken ausdrücklich absieht. [...] Anders gewendet: Die metaphysische Idee der Gerechtigkeit zu verwirklichen, ist der Staat als eine menschliche Einrichtung weder fähig noch berechtigt."

Walter selbst würde die Einschätzung als Populismus vielleicht nicht einmal als Kritik empfinden, weil er sich gerade auf das Volk beruft, für das das Vergeltungsbedürfnis zentral sei. "Die meisten brauchen Vergeltung, um Ruhe zu finden. Und daher ist Vergeltung ein legitimer Strafzweck."

Eine solche Schlussfolge wünscht sich beispielsweise auch ein Til Schweiger als die Stimme des Opfers und des Volkes zugleich. Woran die Wissenschaft bislang scheiterte, nämlich die Sanktionshöhe zu präzisieren, wird gleichfalls in die Hände des Volkes gelegt. Denn es gehe um ihr Vergeltungsbedürfnis. Und wir dürfen ergänzen: In den erfreulicherweise sehr seltenen Fällen gravierender und (auch daher) in der Öffentlichkeit diskutierter Fälle würde der Blick zwangsläufig auf das Opfer gelenkt werden. Die Folge wäre - gerade entgegen der Behauptung Walters - ein noch schärferes Strafrecht, weil gerade ein solches auch die Forderung der populistischen Medien ist, womit ein Verstärkerkreislauf in Gang gesetzt würde.

Das kann man vertreten, würde aber in unseren Augen gar mit der Verfassung in Konflikt geraten, wenn man die Ansicht Roxins vom Zusammenhang eines (verfassungsrechtlich gebotenen) Rechtsgüterschutzes und den hierdurch limitierten haltbaren Strafzwecken ernst nähme. Man kann auch allen anderen StrafrechtsprofessorInnen die Kompetenz abstreiten, so läuft das Spiel eben. Aber dies alles so zu drehen, als würde man dem Rechtsstaat einen Dienst erweisen und zugleich Bürgerin und Bürger endlich basisdemokratisch einbeziehen, ist doch enttäuschend durchsichtig gestrickt. Die ZEIT immerhin hat es überzeugt (nie waren die Großbuchstaben entlarvender). Wir bleiben bei unserem Plädoyer, das Strafrecht wegen der (Dauer-)Krise der präventiven Strafzwecke zumindest zu reduzieren.