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Runder Tisch in gereizter Atmosphäre
Ministerpräsident Kretschmann war Gastgeber eines runden Tisches in der Villa Reitzenstein. Sein Anliegen: Der exzessive Alkoholkonsum auf öffentlichen Plätzen sei endlich zu beenden. Weil er zu Kriminalität führe und unsere schönen Städte verschandele. Beide Argumente wurden auch im Folgenden angemessen austauschbar eingesetzt. Und wie es sich für einen runden Tisch gebührt, gab es ein paar Spielregeln: Die sog. „Wissenschaft“ habe sich kurz zu halten. Und: Er wolle keine Bedenken hören, sondern, was gehe. So sind sie, unsere toughen Politiker.
Nach den Eingangsstatements u.a. von Clemens Arzt (Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin) und RH wurde schnell klar, dass die Spielregeln dynamisch erweitert wurden. Erstens wurden alle Bedenken an einer empirisch nicht hinreichenden Datengrundlage als abwegig erklärt. Man wisse schon, was da laufe. Das bedeutete zugleich, dass es auch verboten war, den Kausalzusammenhang von Alkohol und Kriminalität anzuzweifeln. Und schließlich war es untersagt, darauf hinzuweisen, dass sowohl der VGH als auch das BVerfG gewisse Hürden für Freiheitseinschränkungen selbst bei einer Gefahrenvorsorge aufgestellt haben. Denn: „Niemand hat die Absicht, das Verfassungsrecht zu ignorieren.“
Damit konnte das Spiel so richtig beginnen. Und war eigentlich auch schon vorbei. 28 Politiker und Lobbyisten für eine prosperierende Stadt waren sich schnell einig, dass es eigentlich des Alkoholverbotes bedürfe, das aber leider, leider wegen der renitenten Basis nicht durchsetzbar sei, jedenfalls aber – so der geniale Vorschlag von OB Palmer – eines Platzverbotes für einzelne Personen. Natürlich müsse man es auf Ordnungswidrigkeiten erweitern (um den „vollgekotzten“ Vorgärten endlich den Garaus zu machen ), wenn schon, denn schon, und die Problempersonen müssten unter Alkoholeinfluss gehandelt haben.
Ein paar Bedenken gab es dann doch noch von Arzt und RH: Was ist mit den vergnügungssüchtigen Säufern aus dem Umland? OB Palmer: „Wir kennen sie alle.“ Was ist mit dem erheblichen Eingriff in die Freizügigkeit? Was ist mit einer Stigmatisierung von Personen aufgrund vager Prognosen für lange Zeit, und zwar ein weiteres Mal aufgrund der Einschätzung der Polizei sowie des kommunalen Ordnungsdienstes? Wie kann man denn den Alkoholeinfluss der Taten und Ordnungswidrigkeiten nachweisen? Oder wird er bei Existenz von Alkohol unterstellt? Kann dieses Platzverbot nicht auch in dem Sinne verwandt werden, missliebige Obdachlose und Punker aus dem öffentlichen Stadtbild zu entfernen? Was ist mit Durchsetzungs- und Verdrängungsproblemen? Letzteres nun war die Frage, bei der OB Palmer souverän den Faden wieder aufgriff, nachdem er im Mittelteil argumentativ ein wenig ins Schleudern geraten war und lieber geschwiegen hatte: „Das schaffen wir.“ – Puh.
Lesen Sie alles Weitere zu dieser denkwürdigen Veranstaltung in unserem NL oder hören Sie ein Interview von radio dreyecklang mit rh (vgl. die Links).