Der Artikel
Von Sinn und Zweck der Beförderungserschleichung - ein Gesetz zu Ausbildungszwecken
Lange glaubte man, das von § 265a StGB (in seiner dritten Variante als Beförderungserschleichung und "Schwarzfahren" bekannt) verfolgte Regelungsziel sei es, das Vermögen des Leistungsanbieters vor unbefugter Inanspruchnahme zu schützen (so noch naiv etwa Sch/Sch/Perron § 265a Rn. 1 samt der dort nachgewiesenen h.M.). Aber weit gefehlt!
Hält man sich vor Augen, dass - wie das Newsletterformat des Tagesspiegels "Checkpoint" meldet - ein Hafttag in Berlin "so viel wie 54 AB-Tickets oder 89 Kurzstrecken" kostet, erscheint § 265a StGB in Hinblick auf seine Legitimität in die Ecke gedrängt. Denn derartige Vollzugkosten (bei Ersatzfreiheitsstrafe) zu dem zu verhindernden Schaden von geschätzten 2,50 Euro pro Einzelfahrt im öffentlichen Nahverkehr stehen in einem scheinbaren Ungleichgewicht.
Im "Checkpoint" vom 9.11.2018 erfahren wir vom Münchener Oberstaatsanwalt Udo Kramm, welche Weiten der Sinndeutung sich dem eröffnen, der einen einfachen Blick über den dogmatischen Tellerrand wagt, hin zur schnöden Lebenswirklichkeit. Der Abgeordnete der Bundestagsfraktion DIE LINKE Niema Movassat hatte die Nachricht zuvor auf twitter gemeldet .
Zitat "Checkpoint": "Aus Sicht der Münchner Staatsanwaltes Udo Kramm sollte die Straftat [gemeint ist das Schwarzfahren, T.R.] bleiben, weil [und jetzt kommt's] sie juristisch schön einfach sei und jungen Kollegen Erfolgserlebnisse und gute Erledigungsquoten sichere."
Aha! Es geht also nicht um das uns allen am Herzen liegende Vermögen der Verkehrsbetriebe, nein. § 265a StGB stellt nicht die Verletzung eines Rechtsguts unter Strafe. Es handelt sich vielmehr um einen bislang gänzlich unbekannten Deliktstyp: § 265a StGB ist ein Ausbildungsdelikt (teilweise abweichend und nicht ganz zutreffend als "Erfolgsgefühlssicherungsdelikt" - ebenfalls von mir - bezeichnet). Sinn und Zweck der Norm geht also nicht dahin, Vermögensinteressen zu schützen oder - wie teilweise vertreten wird - das öffentliche Interesse an Beförderung. Das Delikt gleicht eher einem Spielzeuggewehr oder einem stützrädrigen Fahrrad. Bevor man den edlen Parmesan "echter" Strafgesetze tölpelhaft verschwenden lässt, darf mit dem Grana Padano des Kriminalrechts (wem vor lauter Kulinarik die Ohren sausen: es geht noch um § 265a StGB) erst mal mächtig reingehauen werden.
Diese äußerst hellsichtige Deutung des Gesetzes lichtet das Dunkel, in dem das strafrechtliche Schrifttum eisern Gefechte um die Frage führt, ob denn § 265a StGB überhaupt das Schwarzfahren erfasst (dies wird nämlich weitgehend bestritten). Aber darum geht es ja gar nicht! Es ist doch einfach eine schöne und lohnende Herausforderung für alle StAzubis und Richterinnen und Richter auf Probe.