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Baden-Württemberg so sicher wie nie zuvor!
Winfried Kretschmann meldete vergangenen Freitag voller Stolz auf Facebook: "Baden-Württemberg wird immer sicherer. Im vergangenen Jahr ist zum einen die Zahl der Straftaten gesunken, zum anderen konnte die Polizei mehr Straftaten aufklären. Damit ist Baden-Württemberg eines der sichersten Bundesländer."
Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) des von Thomas Strobl (CDU) geleiteten Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration für das Jahr 2017 sank die Zahl der Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 4,8 % (2016: 609.133 - 2017: 579.953); die Aufklärung stieg um 2,2 Prozentpunkte (von 60,2 % 2016 auf 62,4 % 2017). Damit sei die "Kriminalitätsbelastung [...] im vergangenen Jahr auf einen historischen Tiefstand gesunken und liegt so niedrig wie seit 1990 nicht mehr", so Strobl. Wie schön! Es wird alles getan, dass "das Leben in Baden-Württemberg objektiv sicher bleibt und sich die Bürgerinnen und Bürger sicher fühlen können." Notwendig dafür sei aber, wie wir erfahren, "dass wir unseren Sicherheitsbehörden die erforderlichen Instrumente an die Hand geben. Mit der größten Einstellungsoffensive in der Geschichte der baden-württembergischen Polizei und der Novellierung des Polizeigesetzes haben wir im vergangenen Jahr die notwendigen Grundlagen gelegt."
Noch erfreulicher ist für die geneigte Kriminologin bzw. den geneigten Kriminologen natürlich, dass die Ursache für den Erfolg bereits feststeht. Strobl: "Diese positive Gesamtbilanz ist kein Zufall, sondern das Ergebnis unserer klaren Philosophie: Wir handeln entschlossen, konsequent und ohne Zeitverzug."
Das verstehen anscheinend selbst Ausländerinnen und Ausländer. Abzüglich ausländerrechtlicher Verstöße sank die durch diese Gruppe "begangenen Straftaten" (richtig wäre: registrierte Verdachtsfälle) um 8,7 %. Allein das genügt nicht. Wieder Strobl: "Gerade auf besonders gefährliche Ausländer und hartnäckige Integrationsverweigerer werden wir auch weiterhin ein scharfes Auge haben und ganz konsequent gegen sie vorgehen". Und weiter: "Hierzu habe ich im Innenministerium zum Jahresbeginn den Sonderstab Gefährliche Ausländer eingerichtet. Hier reizen wir alles aus, um diese kleine Gruppe Ausländer, die besonders großen Schaden anrichten, auch konsequent abzuschieben. Insgesamt haben wir in den ersten Monaten bereits zehn komplizierte Fälle erfolgreich bearbeitet".
Das ist interessant. Welcher Gestalt der "besonders große Schaden" denn sein soll, bleibt nämlich im Dunkeln. So handele es sich bei Ausländerinnen- und Ausländerkriminalität "schwerpunktmäßig um Körperverletzungen (7.520 Fälle), Ladendiebstähle (6.982 Fälle) und Leistungserschleichungen (6.697 Fälle)". Das sind aber keine besonders schadensträchtigen Deliktsgruppen, selbst wenn ein Kurzstreckenticket in Freiburg für 2,30 Euro für manche sicher eine empfindliche Investition darstellt.
Der Tenor ist eindeutig zweideutig: Fühlen Sie sich sicher, aber nicht zu sehr und vor allem nicht vor jedem! Denn immerhin bleibe ja die "hohe abstrakte Gefährdung durch islamistisch motivierte Terroranschläge". Damit schlägt der Minister zwei Fliegen mit einer Klappe. Die baden-württembergische Kriminalitätsbekämpfung läuft auf vollen Touren und sucht in "Konsequenz" und "Entschlossenheit" ihresgleichen. Ergo: voller Erfolg; Ministerium und Polizei erfüllen ihre Aufgaben ganz ausgezeichnet. Außerdem aber bleibt alles ganz hoch und vor allem abstrakt gefährlich! Ergo: die Polizei braucht mehr Befugnisse und mehr Personal. Das ist eine Win-Win-Situation ... für die Polizei. Sie macht alles richtig. Sie könnte aber alles noch viel richtiger machen. Bleiben Sie derweil gelassen und besorgt. Freiheitliche Bürgerrechte sind in diesem geistigen Korsett noch nicht einmal ein Rechnungsposten.
Die Krönung dieser sowohl messerscharfen wie zweischneidige Argumentation wäre indes Lauterkeit. Mit ein paar Anmerkungen zu Gegenstand und Aussagekraft der PKS hätte man diese erreichen können. Bei den Fallzahlen handelt es sich beispielsweise um registrierte Verdachtsfälle. Es sind also weder alle Taten erfasst, noch ist alles, was erfasst wird, auch eine Tat. Außerdem liefert die Statistik keinen Beweis für die Kausalität polizeilichen Vorgehens für den Erfolg desselben, was Strobl aber suggeriert. So liest sich auch in der PKS (2015, S. 10 f.) selbst: "Die PKS bietet also kein getreues Spiegelbild der Kriminalitätswirklichkeit, sondern eine je nach Deliktsart mehr oder weniger starke Annäherung an die Realität." Sollte der Minister zwischen Erfolgs- und Schreckensmeldung noch Zeit finden, wäre ein entsprechender Hinweis gegenüber der Öffentlichkeit begrüßenswert.