01.04.2020


Kriegsrhetorik und wahre Feinde

Wir sind irgendwie keine rechten Kriegsexperten, vermuten aber mal, dass eine martialische Kriegsrhetorik dreierlei bewirken soll: Sie hat das Ziel, den Feind einzuschüchtern, das Volk zu mobilisieren und bislang nicht vorgesehene Maßnahmen zu legitimieren. Und weil der aktuelle Feind eben nicht so recht greifbar oder zu beeindrucken ist, kann es schon mal sein, dass das undisziplinierte Volk oder auch die Rechtsordnung als Feind herhalten müssen. Es sind verworrene Zeiten.

In Deutschland ist man ein wenig stolz darauf, dass sich die Bundeskanzlerin wohltuend von der Rhetorik ihres französischen Kollegen abhebt, bei dem „la guerre“ die zentrale Vokabel zu sein scheint. Auch wird mit spitzen Fingern auf andere Staaten wie Ungarn, Großbritannien oder Israel verwiesen, die entweder die noch verbliebenen Rudimente des Rechtsstaats (Ungarn) gleich ganz schleifen oder aber ohne große Skrupel über Jahrhunderte erkämpfte Freiheitsrechte zumindest massiv einschränken.

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Auch in Deutschland hat allerdings der Begriff der Bazooka Konjunktur, mag er auch insbesondere im Kontext mit wirtschaftlichen Fördermaßnahmen verwendet werden. Er steht wohl für Tatkraft und nicht für die dieser Waffe zugeschriebene Unzuverlässigkeit und schwere Handhabbarkeit.

Die Art und Weise, wie das Gesetzgebungsverfahren „Ruckzuck wie et Brezelbacken“ geschrumpft wurde, lässt Staatsrechtler mit Haltung erschrocken bzw. erbost zusammenzucken. Offensichtlich ist man in Pandemiezeiten lediglich noch an Meldeketten interessiert.

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Doch langsam trauen sich die Mahner ganz vorsichtig wieder aus der Deckung. In diesem Kontext meinen wir jetzt nicht die Ökonomen, Zurückhaltung ist eh nicht ihr Metier. Wir denken an diejenigen, die wüste Beschimpfungen in Kauf nehmen, wie man in diesen Zeiten an Freiheitsrechte im engeren Sinne, zumindest aber an solche lässlichen Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit oder dasjenige auf informationelle Selbstbestimmung zu denken wage. Man habe jetzt wahrhaft Wichtigeres zu erledigen.

Wenn wir uns zumindest einmal darauf einigen könnten, dass es um eine Frage der Abwägung geht, bei der die Wichtigkeit eine Rolle spielt, wäre schon einiges gewonnen. Eine „verfassungsmäßige Diktatur“ hat das Grundgesetz lediglich für den militärischen Notstand vorgesehen. Womit wir wieder beim Thema wären: Eine Pandemie ist eben trotz aller Rhetorik und noch einmal kein Krieg.

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Das Unwort des Jahres 2010, „alternativlos“, ist nach wie vor eines. Es bedarf auch heute keiner Entschuldigung dafür, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als nicht gewahrt angesehen und darauf hingewiesen wird, eine der wichtigsten Errungenschaften westlicher Demokratien, nämlich die selbstkritische Befragung der Gesellschaft, sei außer Kraft gesetzt worden. Die derzeit vorhandenen enormen Zustimmungswerte der Bevölkerung zu einer Beschneidung ihrer Freiheitsrechte taugen vor dem Hintergrund der beschriebenen Kriegsrhetorik nicht als Legitimation, sondern sollten im Sinne der Bürgerinnen und Bürger eine zusätzliche Bürde darstellen. Der schwierige Weg zurück zu einem Zustand, der längst nicht der erstrebenswerte, aber der freiheitlich bessere war, ist konkret zu definieren und zu beschreiben. Diese Frage darf nicht in die Allmacht der Virologen gelegt werden, die beruflich andere Interessen haben. 

Und all denjenigen, die nun mit ebenso leichter wie hektischer Hand den Gesetzen bis hin zur Verfassung an den Kragen wollen und über Notausschüsse doch wieder im Ergebnis den Verteidigungsfall ausrufen möchten, sei gesagt: Die Gesellschaft wird aufgerufen, einfach mal innezuhalten, das könne doch nicht so schwer sein. Genau das aber hat die Verfassung in gleicher Weise verdient: Einfach mal in solchen Zeiten in Ruhe gelassen zu werden.

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