24.01.2017


Präventivgewahrsam als Antwort auf die terroristische Bedrohung?

Noch im Herbstwaren Forderungen aus den Reihen der CSU nach einem neuen Haftgrund im Ausländerrecht, der es ermögliche, von den Behörden als sog. Gefährder eingestufte Flüchtlinge präventiv in Haft zu nehmen, als rechtsstaatswidrig zurückgewiesen worden. Der Anschlag von Berlin änderte offenbar die Bewertungsgrundlage. Die Regierung sah sich zu einer schärferen Sicherheitsgesetzgebung herausgefordert, die für ausländische Gefährder eine erleichterte Anordnung von Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam sowie den Einsatz der elektronischen Fußfessel vorsieht. In der begleitenden öffentlichen Diskussion verkehrten sich interessanterweise die üblichen Mechanismen. Denn während unter dem frischen Eindruck von Einzeltaten vereinbarte sicherheitspolitische Maßnahmen des Kabinetts regelmäßig in der Folge von wissenschaftlicher Seite als aktionistisch und unverhältnismäßig kritisiert werden, zeigte sich der Kölner Strafrechtslehrer Michael Kubiciel insbesondere von der Einführung eines Präventivgewahrsams durchaus angetan und forderte in einem Beitrag für die LTO bereits dessen Ausweitung, noch ehe er überhaupt beschlossen worden war.

Die rechtspolitische Diskussion sei nämlich aufgrund der jüngsten Fälle zu sehr auf ausreisepflichtige ausländische Gefährder fokussiert und vernachlässige die Bedrohung durch aktenkundige Gefährder, die die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen bzw. als Staatenlose nicht ausgewiesen werden könnten. Durch die Absenkung der Anordnungsvoraussetzungen eines Präventivgewahrsams und dessen zeitliche Ausdehnung im Aufenthaltsgesetz ließen sich diese aber gerade nicht erfassen und würden damit besser gestellt. Ein konsequenter Schutz der Gesellschaft vor Gefährdern erfordere daher die Implementierung des Präventivgewahrsams in Gesetzen mit einem größeren Anwendungsbereich. Konkret schlägt Kubiciel eine Anpassung von § 20p BKAG vor, der bereits in seiner aktuellen Form die Ingewahrsamnahme einer Person zur Unterbindung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat mit Bezug zum internationalen Terrorismus regelt.

Tatsächlich drängt sich eine lückenlose Beobachtung aller Gefährder als Alternative zu einem präventiven Freiheitsentzug nicht gerade auf. Ob das nun auf die mangelnde personelle bzw. sachliche Ausstattung der Sicherheitsbehörden zurückzuführen ist oder auf deren wiederkehrende und eklatante Versäumnisse, kann dahinstehen, da offenbar weder das eine noch das andere schnell zu beheben ist.

Dennoch ist Kubiciels Vorschlag abzulehnen. Und das selbst wenn man die historische Konnotation des Konzepts der Präventivhaft einmal außen vor lässt, aus Müdigkeit nicht zum hundertsten Mal auf die völlige Unbestimmtheit des maßgeblichen Gefährderbegriffs hinweisen will und bereit ist, Zweifeln an der Vereinbarkeit eines solchen Freiheitsentzuges mit europarechtlichen Vorgaben nicht näher nachzugehen.

Es irritiert bereits, dass Kubiciel eine Gleichstellung inländischer Gefährder gerade mit einem aus der deutschen Staatsangehörigkeit abgeleiteten erhöhten Pflichtenprogramm begründen möchte. Dieser Gedanke mag arbeitsrechtlich im Beamtenverhältnis seinen Niederschlag finden. Im Zusammenhang mit den die Gefährderzuschreibung auslösenden verdächtigen Verhaltensweisen bleibt er nebulös und angreifbar. Wer die Strafgesetze verletzt, sieht sich einem staatlichen Strafanspruch ausgesetzt, den dieser schuldangemessen durchzusetzen hat. Das war es dann aber auch. Eine allgemeine Loyalität des Bürgers mit den Werten des Staates kann in einem freiheitlich ausgerichteten Gemeinwesen nicht erwartet werden. 

Drängende Fragen nach der konkreten Ausgestaltung des vorgeschlagenen Gewahrsams lässt Kubiciels Text unbeantwortet. In Bezug etwa auf eine mögliche Höchstdauer nennt er in einer nachgeschobenen Antwort auf einen Leserkommentar den Richtwert von 18 Monaten. Das würde dann allerdings doch eine gehörige „Anpassung“ des § 20p BKAG bedeuten, dessen Kommentarliteratur gegenwärtig eine höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung von vier Tagen festsetzt. Und selbst wenn: was sähe die Präventionslogik Kubiciels für die Zeit nach deren Ablauf vor? Werden sich die terroristischen Gesinnungen verflüchtigt haben? Besinnt sich der Gefährder seiner Loyalitätspflicht als Staatsbürger und verlässt die Nationalhymne pfeifend die Vollzugsanstalt? Oder wird die Gefährlichkeitsprognose aufrecht zu erhalten sein, so dass sich doch eine Ressourcen aufzehrende Überwachung anschließt, bis beobachtete Umtriebe den nächsten Präventivgewahrsam erforderlich erscheinen lassen?

Kubiciel ist zuzustimmen, wenn er auf den Anspruch eines jeden auf Wahrung der Verhältnismäßigkeit verweist. Sieht er aber gleichzeitig einen mehrmonatigen Freiheitsentzug auf der Basis oftmals wackliger Indizien mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip im Einklang, lässt er ebenjenes zu einem stumpfen Maßstab verkommen, das zwar im Hinblick auf die evidente Grundrechtssensibilität pflichtschuldig zu erwähnen ist, dessen freiheitssichernde Funktion aber zu Gunsten weiter und an die Bedrohungslage angepasster Beurteilungsspielräume der Politik zurückzutreten hat.

Die rechtsstaatliche Brisanz eines auf Gefährlichkeitsprognosen aufbauenden Freiheitsentzuges zum Schutze der Gesellschaft legten bereits die Urteile des EGMR zur deutschen Regelung der Sicherungsverwahrung offen. Auch der Präventivgewahrsam gegen Gefährder in der von Kubiciel vorgeschlagenen Form würde ein trügerisches und außerdem vorübergehendes Gefühl von Sicherheit um den Preis einer Vielzahl sog. Falscher Positiver erkaufen.

In den letzten Jahren stellte sich der Gesetzgeber strafwissenschaftlichen Ratschlägen gegenüber regelmäßig taub. Mit Blick auf Kubiciels Diskussionsbeitrag zur neuen Sicherheitsarchitektur bleibt fast zu hoffen, dass sich das nicht ausgerechnet jetzt ändert.