14.01.2011


Sicherungsverwahrung:Und wieder Verurteilungen durch den EGMR

Wäre es für die Betroffenen und die Gesellschaft als Ganzes nicht so traurig, könnte man vielleicht etwas schadenfroh darüber lachen. Weniger als zwei Wochen, nachdem die Neuregelung der Sicherungsverwahrung in Kraft getreten ist, wird Deutschland in weiteren vier Fällen vom EGMR wegen rechtswidriger Anordnungen von Sicherungsverwahrung verurteilt.

Drei Verurteilungen erfolgten aus den gleichen Gründen wie eine frühere Entscheidung durch den EGMR im Dezember 2009. Eine rückwirkende Verlängerung der Höchstdauer der Sicherungsverwahrung verstoße gegen Art. 5 und Art. 7 EMRK. Das vierte Urteil stellt nun noch einmal deutlicher klar, dass auch die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht mit der EMRK in Einklang steht. Soll die Freiheitsentziehung an die Begehung einer Straftat anknüpfen, so kann sie nur dann gem. Art. 5 1 (a) EMRK gerechtfertigt sein, wenn sie im Rahmen eines Urteils erfolgt, das die Feststellung beinhaltet, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat. Mit anderen Worten, die Anordnung der Freiheitsentziehung (ob ein Vorbehalt ausreicht, dürfte weiter unklar sein) muss im Strafurteil erfolgen. Anderenfalls besteht kein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung und der Unterbringung im Gefängnis zu Präventionszwecken.

„Nun gut“, könnte man sagen, die Verurteilungen durch den EGMR betrafen Fälle, die Jahre zurückliegen und inzwischen gibt es eine ganz neue Rechtslage, die nach Aussage der Politikerinnen und Politiker der Koalition und der SPD die Rechtsprechung des EGMR berücksichtigt. Damit würde man freilich falsch liegen, wie wir bereits im Newsletter vom 3. Dezember 2010 berichteten.

Gerade die nun auch für konventionswidrig erklärte nachträgliche Sicherungsverwahrung ist weiterhin bestehende Gesetzeslage. Das gilt für alle Altfälle, also Personen, die eine einschlägige Straftat vor 2011 begangen haben, was die Anordnung nach verbüßter Freiheitsstrafe bis über das Jahr 2020 hinaus ermöglicht. Die Möglichkeit der Anordnung der nachträglichen Sicherungswahrung besteht zudem auch in der Zukunft für Jugendliche und Heranwachsende fort (§ 7 II, III; § 106 V, VI JGG). Und sie ist nach wie vor geregelt für Personen, die zunächst in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wurden (§ 66b StGB). Nach dem Urteil des EGMR wird nun noch einmal klar: All diese Formen der Sicherungsverwahrung und damit bestehendes deutsches Recht verstoßen gegen die von Deutschland unterschriebene und ratifizierte Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten.

Dass auch das mit verabschiedete und ebenfalls seit dem 1. Januar geltende neue Therapieunterbringungsgesetz rechtwidrig ist und sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen die EMRK verstößt, braucht fast nicht mehr erwähnt zu werden, um zu verdeutlichen, wie dilettantisch bei dem Erlass der gesetzlichen Neuregelung für derart intensiv eingreifende Maßnahmen gearbeitet wurde. Das Schlimme ist, es haben im Grunde alle gewusst, dass ein solches Gesetzeswerk keinen Bestand haben kann. Verabschiedet wurde es trotzdem.

Unsere Vortragsreihe TACHELES, die wir zusammen mit der Humanistischen Union veranstalten, wird sich am 28. Januar dieses Themas annehmen. Professor Jörg Kinzig aus Tübingen trägt ab 20 Uhr in Raum 1098 (Kollegiengebäude I) dazu vor.