13.04.2018


Wenn Journalisten zündeln

Jörn Lauterbach berichtet in der Welt von einer "unfassbaren Tragödie am Jungfernstieg" in Hamburg unter dem Titel "Wenn Männer morden".

"In Hamburg hat ein Mann seine Ex-Frau und kleine Tochter in der U-Bahn erstochen. Die Fälle häufen sich auch in der Provinz - und haben zudem auch migrantische Komponenten." So der Einstieg. Wie wir später erfahren, sind "die Fälle" Morde, durch Männer begangen, die Trennungen nicht vertragen. "Die Fälle" haben aber "zudem" eine "migrantische Komponente".

Doch bevor die Relevanz der "migrantische Komponente" erläutert wird und bevor uns Lauterbach weiteren grauslichen Fällen aussetzt, schiebt er eine kurze Reminiszenz an das Hamburg ein, das wohl keiner der heute Lebenden je mit eigenen Augen gesehen hat: "Auf historischen Postkarten flanieren hier [auf dem Jungfernstieg, TR] Frauen in weiten Röcken und mit Zylindern behütete Männer am Alsterpavillon vorbei, um ihren bürgerlichen Wohlstand zu dokumentieren. Dieses Bild vom Jungfernstieg hat sich bis heute in den Köpfen festgesetzt: „Hamburgs gute Stube“." Wie schön, wie wohltuend!

Mit Schrecken stellt Lauterbach nun fest, dass dies lang vorbei ist. Mittlerweile erstechen nämlich ein 33-jähriger Mann aus dem Niger Ex-Frau und Tochter, ein 33-jähriger Mann aus Pakistan seine Tochter nach einer Trennung und ein 40-jähriger Türke seine 34-jährige Frau. Das ist gewiss sehr schlimm. Vor allem für die Betroffenen. Der historische Postkarten betrachtende Alster-Fan wird wohl darüber hinwegkommen.

Nun verhält es sich so, dass die meisten vorsätzlichen Tötungsdelikte (und darum scheint es hier zu gehen) Beziehungstaten sind. Laut BKA fielen im Jahr 2016  Mord und Totschlag insbesondere Ehepartner (mit einem Anteil von 51,5 %) zum Opfer. Das bedeutet, dass im Bereich der vorsätzlichen Tötungsdelikte Beziehungstaten die Regel sind und keinesfalls außergewöhnlich. Tragisch natürlich. Aber welche Relevanz hat die Herkunft der Tatverdächtigen?

Ziffer 12 des Pressekodex verbietet Diskriminierungen. In Richtlinie 12.1 heißt es: "In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte. "

Es stellt sich also die Frage, ob in den genannten Fällen ein begründetes öffentliches Interesse an der Nennung der Herkunft besteht. Nun ist den Praxis-Leitsätzen zum Pressekodex  zwar zu entnehmen, die Erwähnung der Nationalität sei nicht verboten. Doch besteht eine Pflicht der Redaktion zu einer verantwortungsvollen Abwägung.

Als Nennungsgründe der Nationalität kommen "besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension außergewöhnliche Straftat[en]" in Betracht. Als Beispiel wird auch Mord genannt, aber im Zusammenhang mit Terrorismus und dem Beispiel des Attentats auf den BVB-Mannschaftsbus 2017. Darin liegt also für die hier interessierenden Fälle keine Rechtfertigung, die Nationalität offenzulegen.

Also weiter im Text. Und dann kommt's: "Trennungen sind immer auch Niederlagen, damit umzugehen fällt insbesondere jenen schwer, die aus ihrem Geschlecht ein überhöhtes Bild der eigenen Bedeutung ableiten und sich nun plötzlich am Boden wiederfinden." Nun gibt es zwei Möglichkeiten, diese Passage zu interpretieren. Vielleicht geht es dem Autor pauschal um Männer, gleich welcher Herkunft. Allein das Geschlecht bedingt die Taten. Das fände einen gewissen Rückhalt in der PKS , denn Tatverdächtige bei Tötungsdelikten sind um die 90 % Männer, bei Beziehungsmorden und -totschlägen sind es gut 80 %. Das scheint es aber nicht zu sein. Vor 100 Jahren war ja noch alles okay (und die Vergewaltigung in der Ehe legal, denn nur die Nötigung zum außerehelichen Beischlaf war erfasst - bis 1997!), und da gab es ja auch Männer. Interessant ist also eher die Herkunft.

Also die andere Interpretation: Es besteht ein Zusammenhang zwischen einem überhöhten Männlichkeitsbild gerade bei Männern der genannten Herkunft. Diese Annahme müsste dann aber belegt werden. Im Artikel: Fehlanzeige.

Nach der PKS 2016 sind etwa drei von zehn Tatverdächtigen bei Mord Nichtdeutsche, bei Totschlag und Tötung auf Verlangen etwa vier von zehn. Allerdings: "Zu beachten ist dabei, dass sich die nichtdeutsche Wohnbevölkerung immer noch zu einem größeren Teil aus – unter demografischen Gesichtspunkten relativ stärker kriminalitätsbelasteten – jüngeren Männern unter vierzig Jahren zusammensetzt als die deutsche Wohnbevölkerung. Ferner dürfte auch die besondere, konfliktträchtige Lebenslage in der Fremde, insbesondere auch in sozialstruktureller Hinsicht, bedeutsam sein." Das heißt: Generell sind Männer unter 40 am gefährdetsten, kriminell in Erscheinung zu treten. Die deutsche Bevölkerung wird immer älter. Von den Menschen mit Migrationshintergrund sind anteilig mehr unter 40 als bei Deutschen. Also ist die höhere Kriminalitätsbelastung bei Migrationshintergrund zu einem Großteil auf die demografische Struktur der Gesellschaft und nicht auf eine besondere Kriminalitätsneigung bestimmter Bevölkerungsgruppen zurückzuführen. Das ist auch bei Partnerschaftstaten nicht anders. In den Kategorien Mord und Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigungen, sexuelle Nötigung, Bedrohung und Stalking sind 68,3 % der Tatverdächtigen Deutsche. Das entspricht in etwa der Verteilung bei den vorsätzlichen Tötungsdelikten allgemein (also nicht speziell bei Beziehungstaten). Das heißt aber, dass bei Beziehungstaten die Herkunft anscheinend keine signifikante Rolle spielt.

Diese statistischen Betrachtungen sind - zugegeben - dröge. Viel saftiger schließt Lauterbach: "Dort [am Boden, TR] wollen sie [jene, die aus ihrem Geschlecht ein überhöhtes Bild der eigenen Bedeutung ableiten, TR] dann doch lieber den anderen sehen – und stechen zu. Am Jungfernstieg und anderswo." Man bleibt mit einem gehörigen Schrecken zurück. Mit dem unguten Gefühl, die ausländischen Messerstecher wollten einem an den Kragen. Dabei ist man noch nicht mal in einer Beziehung mit ihnen. Und das alles hier, am Jungfernstieg, wo doch vor hundert Jahren alles noch ganz anders war!

Der Artikel ist perfide. Zuerst werden die Leserinnen und Leser mit ein wenig Alsterromantik und Kaiserzeit eingestimmt. Doch jetzt ist alles schlimm. Vor allem seit die Türken und Nigrer da sind und ihre Frauen abstechen. Und es wird wieder geschehen. "Am Jungfernstieg und anderswo." Will heißen, auch bei Dir!, lieber Leser, liebe Leserin. Der Autor ist freilich klug genug, die Kausalitätsverknüpfung zwischen Nichtdeutschsein und der Tat nicht explizit zu behaupten. Die Verknüpfungen herzustellen, wird den nunmehr verängstigten Leserinnen und Lesern überlassen, die doch nur in antiquierten Klamotten und Ruhe flanieren möchten.

Und all das ohne auch nur einen einzigen Beleg. Nur mit drei (anscheinend noch nicht rechtskräftig entschiedenen) Einzelfällen, die sich in ähnlicher Couleur bestimmt auch mit Biodeutschen in der Rolle des Tatverdächtigen finden ließen. Es gibt also gar keinen Grund, die Herkunft der Tatverdächtigen herauszustellen; zumindest wird er aus dem Artikel nicht ersichtlich. Die "migrantische Komponente" der Fälle erschöpft sich allein in der Nennung der Herkunft der Tatverdächtigen. Diese subtile Art der Hetze ist ein Fall für den Presserat.