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Schneid Dich nicht!
Am vergangenen Wochenende kreisten die Hubschrauber über der Stadt, um aus Fairnessgründen in Kooperation mit den Autokorsos der gesamten Wohnbevölkerung den Schlaf zu rauben. Es ging um recht viele Menschen auf dem Platz der Alten Synagoge und im Stühlinger, die man offensichtlich aus Sicherheitsgründen aus der Luft bekämpfte.
Zeit, mal wieder das gute, alte Glasverbot aus der Kiste zu holen, dachte sich „Ordnungsbürgermeister“ Breiter, wie er in der BZ liebevoll und zugleich bezeichnend genannt wird. Die Assoziationsketten insoweit sind recht verschlungen und erinnern an fadenscheinige Erziehungsmethoden, bei denen man mit dem Kern der Ansage nicht so recht herausrücken will. Denn was man eigentlich sagen möchte: Junge Menschen trinken zu viel Alkohol, dieser führt zu Straftaten, Lärm und Müll. Das muss irgendwie unterbunden werden.
Weil man nun aber mit Alkoholverboten verschiedenster Art in der Vergangenheit nicht sonderlich gute Erfahrungen machte und der VGH beim Freiburger Alkoholkonsumverbot aus dem Jahr 2008 ein wenig mäkelig nachgefragt hatte, wie es denn genau um den Zusammenhang zwischen Alkohol und Gewaltdelikten bestellt sei, soll es nun also als „milderes Mittel“ das Glasverbot richten. Schneid Dich nicht!
Auch ein solches Glasverbot hat seine durchaus nicht gerade ruhmreiche Geschichte. So kassierte der VGH Mannheim 2012 das Konstanzer Glasverbot am Bodenseeufer, das auf einer Polizeiverordnung beruhte. Für eine abstrakte Polizeigefahr bedürfe es hinreichender (empirischer) Anhaltspunkte, dass das verbotene Verhalten regelmäßig und typischerweise erhebliche Rechtsgutsverletzungen zur Folge habe. Reine Vorsorgemaßnahmen seien durch die Ermächtigungsgrundlage im Polizeigesetz nicht gedeckt. Die Gesichtspunkte der unerlaubten Entsorgung von Abfall bzw. der Vermeidung von Lärm hätten ein deutliches geringeres Gewicht, was Auswirkungen auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz habe.
https://strafrecht-online.org/vgh-pressemitteilung
https://openjur.de/u/608342.html
Ein Jahr später kippte das VG Freiburg ein auf einer Allgemeinverfügung beruhendes Glasverbot rund um den 1. Mai im Sedanviertel, weil es weder zeitlich noch örtlich hinreichend bestimmt definiert sei.
Nun also ein neuer Anlauf, der auch mit der Überschrift versehen sein könnte: „Wir haben unsere Lektion gelernt.“
https://strafrecht-online.org/glasverbot-freiburg
So werden nunmehr zumindest der räumliche und zeitliche Geltungsbereich hinreichend genau benannt. Danach wird es allerdings wieder dünn: Als Begründung werden ein paar Wochenendnächte rekapituliert, an denen jeweils Hunderte auf dem Platz der Alten Synagoge gezählt wurden, denen wiederum „unter anderem“ „etliche Körperverletzungen und andere Straftaten“ zugeschrieben wurden. – Offensichtlich entscheidet das die Polizei in Freiburg nunmehr in eigener Machtvollkommenheit und beschränkt sich nicht auf die Angabe von entsprechenden Verdachtsfällen.
Daneben ist von Glasscherben, dem „Risiko erheblichen Verletzungen“ sowie von Flaschenwürfen die Rede. An mehreren Stellen wird darauf hingewiesen, die sich auf dem Platz Aufhaltenden seien „teils stark alkoholisiert“ gewesen, wobei mit zunehmenden Alkoholisierungsgrad das wahrgenommene Aggressionspotenzial gestiegen sei.
Das ist auf der einen Seite eine eher spekulative und vage Faktenlage für eine erforderliche konkrete Gefahr von Rechtsgutsverletzungen, auf der anderen Seite schwingt doch wieder das apokryphe und gerade nicht legitime Begründungsmuster mit, wonach der Alkoholkonsum mit den Verdachtsfällen von Straftaten zu tun habe und daher zu erschweren sei. Der listige Hinweis darauf, gerade der Alkoholkonsum auf dem Platz der Alten Synagoge bleibe doch möglich, räumt diesen Verdacht nicht aus, weil die Glasflasche für den in dieser Situation von jungen Menschen präferierten Alkoholkonsum eben das Mittel der Wahl ist. Auch der Müll und der Groll des Bürgertums, dass dieser auf Staatskosten beseitigt werde, tauchen als Argumente auf.
Und wie steht es um die Verhältnismäßigkeit? Ist beachtet, wird unser Ordnungsbürgermeister voller Stolz bekunden. Denn es könne ja durchaus noch schlimmer kommen, etwa in Gestalt eines Alkoholkonsum- oder Aufenthaltsverbots. – Vielleicht spielt man da aber nach dem Gesagten auch nur ein wenig mit den Muskeln. Uns erschiene es im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung durchaus angemessen, die Motive heranzuziehen, warum der Platz der Synagoge heute so ist, wie er ist (und eben keine Wiese mehr). Er sollte gerade das party- und konsumwütige Publikum auch aus dem Umland anziehen. – Hat doch perfekt geklappt. Und die Frage steht noch immer im Raum, ob die erhöhte Zahl von Vorfällen nicht schlicht darauf beruht, dass sich eben viele Menschen auf engem Raum zusammenfinden. Das könnte sich die Stadt durchaus zurechnen lassen müssen. Aus ökonomischer Perspektive, die der Stadt doch eigentlich ganz sympathisch sein müsste, würde man es so ausdrücken: Das ist eben der Preis.
Die weitere Idee der Stadt, drei große Container mit großen Einwurf-Öffnungen aufzustellen, ist übrigens endlich ein Schritt in die richtige Richtung, der vielleicht den wahren Unmut besänftigen könnte. Lange Zeit hatte man in abwegiger Weise auf den entgegengesetzten Weg gesetzt und gerade Mülltonnen verweigert.
https://www.freiburg.de/pb/1726658.html
Es wäre besser oder auch schlicht verhältnismäßig gewesen, es zunächst einmal hiermit zu versuchen und das fadenscheinige Glasverbot in der Kiste zu lassen.