Der Artikel
Provozier mich nicht
Salvador Dalí soll einmal gesagt haben: „Wer interessieren will, muss provozieren“. Ausführungen über bildende Künste möchten wir uns an dieser Stelle zwar ersparen, doch scheinen auch Strafverfolgungsbehörden mitunter interessieren zu wollen. Denn sie provozieren. Und so hatte der BGH jüngst über die Revision gegen ein Urteil des LG Freiburg zu entscheiden, in dem es um die Frage ging, inwieweit es Strafverfolgungsbehörden erlaubt sein soll, „Tatverdächtigen“ Drogen abzukaufen, diese also zu einem Verkauf zu „provozieren“, um sie in diesem Zuge festnehmen zu können.
Der Entscheidung lag ein Sachverhalt aus dem benachbarten Emmendingen zugrunde. Die Polizei hatte dort zwei Brüder wegen vermeintlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 BtMG) auf dem Radar. Man mutmaßte, sie hätten mit kleinen Mengen Drogen gehandelt, um so die Sucht des älteren Bruders finanzieren zu können. Die Polizei setzte auf die beiden aus Pakistan stammenden Verdächtigen einen aus Afghanistan stammenden verdeckten Ermittler als sog. Agent Provocateur an. Dieser kaufte zunächst kleinere Mengen Drogen bei den beiden, um sodann eine sehr große Menge (drei Kilogramm Marihuana und 100 Gramm Kokain) mit einem Schwarzmarktwert von etwa 20.000 € zu bestellen. Die beiden wussten zunächst nicht, wie sie eine derart große Menge beschaffen sollten, sagten aber letztlich zu und besorgten das Rauschgift. Das LG Freiburg sah hierin ein bandenmäßiges Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und verurteilte einen der beiden zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten, den anderen zu einer solchen von zwei Jahren ohne Bewährung.
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Die Freiburger Strafverteidiger Jan-Carl Janssen und Jan-Georg Wennekers kritisierten diese Vorgehensweise als eine gegen Art. 2 I i.V.m. Art. 20 III GG verstoßende, mithin rechtsstaatswidrige Tatprovokation. Sie legten folgerichtig Revision ein, über die nun der erste Strafsenat des BGH in Karlsruhe zu entscheiden hatte.
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Sollte das Prozedere die besagte Grenze zur Rechtsstaatswidrigkeit überschritten haben, so verstieße dies nicht nur gegen fundamentale Werte des GG, sondern, so die Rechtsprechung des EGMR, auch gegen das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 I EMRK. In Anlehnung an dessen Rechtsprechung (Urt. v. 15.10.2020 [Nr. 40495/15]) ist dies dann der Fall, soweit sich die Strafverfolgungsbehörden nicht auf eine passive Strafermittlung beschränken, sondern einen nicht Tatgeneigten zu einer Straftat provozieren. Mit anderen Worten: Der Staat darf Betroffene nicht zurechenbar und über das bloße „Mitmachen“ hinaus manipulieren oder beeinflussen, um eine Straftat aufklären und aburteilen zu können, die andernfalls nicht begangen worden wäre.
Genau hier setzt die Begründung des der Revision stattgebenden Urteils des BGH (Urt. v. 16.12.2021 – 1 StR 197/21) an: Da das LG eine Rechtsstaatswidrigkeit verneint habe, hätte es näher begründen müssen, dass und warum die vermeintlichen Täter bereits „tatgeneigt“ gewesen seien, die Tat also ohnehin stattgefunden hätte. Eine unzulässige Manipulation komme auch deshalb in Betracht, weil der verdeckte Ermittler immer wieder betont habe, Afghanen und Pakistani müssten doch zusammenhalten. Außerdem habe er auf „Probleme mit früheren Lieferanten“ hingewiesen. Hiermit sei womöglich zusätzlicher Druck auf die Angeklagten ausgeübt worden. Der erforderlichen Begründung sei das LG daher nicht nachgekommen, eine andere Kammer des Landgerichts müsse erneut entscheiden.
Doch was wäre eigentlich die Konsequenz, sollte das LG nun von einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ausgehen? Dies blieb lange Zeit ungeklärt. Zunächst erachtete der BGH (BGHSt 32, 345; 45, 321; 47, 44) insoweit eine bloße Berücksichtigung bei der Strafzumessung für vorzugswürdig. Das BVerfG wusste dem erst einmal nichts entgegenzusetzen und nahm eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (Beschl. v. 28.05.2009 – 2 BvR 1029/09).
Der EGMR trat dem entschieden entgegen: Sämtliche infolge der Provokation erlangten Beweise dürften nicht verwertet werden, was faktisch auf einen Freispruch wegen der provozierten Tat hinausläuft. Denn sie wäre infolge des vollständigen Beweisverwertungsverbots schlicht nicht zu beweisen. Zum gleichen Ergebnis führende andere Konzepte seien – so der EGMR – zwar ebenso zulässig, die deutsche Strafzumessungslösung sei aber jedenfalls unzureichend (EGMR, Urt. v. 23.10.2014 [Nr. 54648/09]). Infolgedessen hat sich auch der BGH umorientiert und nimmt nun im Fall einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ein Verfahrenshindernis an, weshalb das Strafverfahren dann nach § 260 III StPO einzustellen ist (BGHSt 60, 276).
Vielleicht wäre es aber gar an der Zeit, der Tatprovokation insgesamt einen Riegel vorzuschieben? Wo ist die gesetzliche Grundlage, wo ihre auch grundgesetzlich abgesicherte Legitimation? Um das Problem zu verdeutlichen, sei beispielhaft eine Formulierung von Christian Rath im oben nachgewiesenen Artikel in der Badischen Zeitung genannt: „Grundsätzlich sind Scheinkäufe durch Polizisten durchaus zulässig, um Verdächtige überführen zu können.“
Im Grundsatz zutreffend bedarf es also eines „Verdächtigen“. Das damit einhergehende grundlegende Problem der Legitimierbarkeit der Tatprovokation stellt sich nicht erst bei Überschreitung der vom EGMR ausgemachten Grenze zur Rechtsstaatswidrigkeit, wenn also eine bezüglich der provozierten Tat nicht tatgeneigte Person provoziert wird. Es stellt sich vielmehr auch in Konstellationen, in denen die betroffene Person bezüglich der provozierten Tat bereits tatgeneigt war. Hierauf weisen namentlich Roxin/Schünemann (Strafverfahrensrecht, 29. Aufl. 2017, § 37 Rn. 8) hin: In einem dem Schuldprinzip (Art. 20 III GG) verpflichteten Tatstrafrecht kann nur eine Person „verdächtig“ sein, die im Hinblick auf eine konkrete Tat verdächtig ist. Wenn die Polizei nun durch ihre Provokation dafür sorgt, dass die bereits wegen allerdings nicht nachweisbarer Straftaten im Fokus stehende Person eine weitere Tat begeht, dann ist allein die letztere Tat der neue Anknüpfungspunkt für ein Verfahren. Hinsichtlich dieser provozierten Tat fehlte es aber schon deshalb an einem Verdacht, weil sie zum Zeitpunkt der Provokation ja noch gar nicht begangen war.
Und so können wir nur hoffen, dass die Ampelregierung Ernst macht, wenn sie auch diesbezüglich „mehr Fortschritt wagen“ möchte und auf S. 106 ihres Koalitionsvertrages „das grundsätzliche Verbot der Tatprovokation“ ankündigt.
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Wir glauben nicht, dass man sich hiermit im Sinne Dalís uninteressanter macht.