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Die Jagdwilderei – Vom Notdelikt zum Sonderstrafrecht für die Edelgastronomie?
„Hat Deutschland ein Problem mit Wilderern, die nachts heimlich durch die Wälder schleichen?“ fragt die Berliner Morgenpost anlässlich der Tötung eines Polizisten und einer Polizeianwärterin im pfälzischen Landkreis Kusel, die mutmaßlich begangen wurde, um das illegale Töten von Wildtieren zu verdecken. Während der Straftatbestand der Jagdwilderei (§ 292 StGB) über Jahrzehnte fast in Vergessenheit geraten war, ist er nunmehr in aller Munde und wird medial zu einem relevanten Problem stilisiert.
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Das Bundeskriminalamt verzeichne seit Jahren leicht steigende Fallzahlen und es sei im Jahr 2020 mit 1.080 Fällen gar „der höchste Stand seit 15 Jahren“ registriert worden, berichtet die Morgenpost weiter.
Diese Situation gibt uns Anlass, die Relevanz des Tatbestands zu überprüfen und zu hinterfragen: Stellt sich die Situation wirklich derart dramatisch dar wie medial geschildert? Und worin liegt überhaupt das Unrecht der Jagdwilderei?
Zunächst zu ersterem Aspekt: Wirft man einen Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik, so fällt zunächst die vergleichsweise extrem geringe zahlenmäßige Relevanz auf. 1.080 Tatverdachtsfälle im Jahr bedeuten eine Fallzahl, die sonst nur wenige Straftatbestände für sich beanspruchen können. Zum Vergleich: 3.289 Straftaten gegen das (menschliche) Leben wurden 2020 polizeilich registriert. Auch im Zeitverlauf hat sich daran nur wenig geändert. Berücksichtigt man die Anfang der 2000er Jahre zwischen 1.200 und 1.300 liegende Fallzahl, so ist sogar ein leichter zahlenmäßiger Rückgang zu konstatieren.
Vollkommen unbedeutend ist der Straftatbestand in der strafgerichtlichen Praxis. Nur 23 Fälle der Jagdwilderei wurden im Jahr 2020 von deutschen Gerichten abgeurteilt, hiervon waren 8 Verurteilungen. Freilich spiegeln diese Zahlen nur das Hellfeld wider und geben keine Aufschlüsse über das tatsächliche Ausmaß der Wilderei in Deutschland. Doch gehen Schätzungen dahin, etwa drei Mal so viele Taten würden nicht angezeigt (Relation 1:3,
Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen
StrafR BT I, § 38 Rn. 11). Auch dies ist keine sonderlich beunruhigende Zahl, wenn man bedenkt, dass deutschlandweit jedes Jahr Millionen Wildtiere vollkommen legal erlegt werden.
https://strafrecht-online.org/jagdstatistik
Dies führt zu der weiteren Frage, worin überhaupt der spezifische Unrechtsgehalt der Wilderei besteht, wenn doch die Erlegung von Wildtieren für sich genommen nichts Ungewöhnliches ist. Hier gilt es zunächst das verbreitete Missverständnis auszuräumen, es ginge um den Schutz bestimmter Tierarten, die besonders schützenswert seien. Diesem Schutz nimmt sich das Bundesnaturschutzgesetz mittels anderer Straftatbestände an. § 292 StGB inkriminiert hingegen die Erlegung von Wild, das grundsätzlich erlegt werden darf.
Worum es dem Tatbestand stattdessen geht, legt der Blick auf den Normtext offen, wonach bestimmte Tathandlungen unter Strafe gestellt werden, die sich als Verletzungen „fremden Jagdrechts oder Jagdausübungsrechts“ darstellen. Geschützt wird also die Befugnis der in Bezug auf ein bestimmtes Gebiet berechtigten Jägerinnen und Jäger, das Wild zu hegen und sich erlegtes Wild anzueignen. Der Wilderer stört damit letztlich die Wildökologie in Form eines gesunden Wildbestandes, dessen Regulierung einzig Aufgabe von hierzu Befugten ist.
Dass ein Tatbestand, der allein eine solche Zielrichtung hat, mittlerweile kaum noch praktische Bedeutung besitzt, verwundert kaum. Mag die Wilderei als „Notdelikt“ früher noch relevant gewesen sein, weil sich Menschen aus ärmeren Bevölkerungsschichten am Wildbestand bedienten, hat sie im modernen Wohlfahrtsstaat, in dem die verfügbare Fleischmenge stark gestiegen und der Preis ebenso stark gefallen ist, ihren Anwendungsbereich verloren.
In der oben angeführten strafrechtlichen Literatur wird indes davon ausgegangen, nunmehr werde die Jagdwilderei „angesichts der modernen Edelgastronomie“ lukrativ und habe sich insoweit von ihrem vormaligen Charakter als „Notdelikt“ gelöst. Auch der Fall des Wilderers aus dem pfälzischen Kusel legt diese Vermutung zunächst nahe: Der Haupttäter hatte in einem Kühlanhänger verkaufsfertig verpacktes Fleisch im Wert von mehreren tausend Euro deponiert. Doch entsprechen derartige Ausnahmefälle gewerbsmäßiger Jagdwilderei wohl nicht dem gewöhnlichen Anwendungsfeld des Tatbestands. Die gelegentliche Überschreitung der Grenzen eines Jagdbezirks ist insoweit eine erheblich näherliegende Konstellation.
Dass der Fall aus Kusel eine Diskussion über die Jagdwilderei in Deutschland anstößt, ist grundsätzlich begrüßenswert. Hierbei sollte das Ausmaß jedoch nicht dramatisiert und die Leistungsfähigkeit des Straftatbestands nicht überschätzt werden. Zu hinterfragen wäre vielmehr – ganz im Sinne des Vorhabens der Ampel-Koalition –, ob § 292 StGB noch ein zeitgemäßer Straftatbestand ist. Einen merklichen Effekt für