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Schuster, bleib bei deinem Leisten!
Thomas Tuchel hat kürzlich einmal den sehnlichen Wunsch geäußert, sich einfach mal allein mit seinem Metier, dem Fußball, beschäftigen zu dürfen. Und wir ergänzen: Nicht mit solchen „privaten Geschichten“, wie es sein Vereinskollege Christoph Freund im Hinblick auf das laufende Strafverfahren gegen Jérôme Boateng formulierte. Immerhin ist es ja – so Wortlaut Tuchel – irgendwie „ausgesetzt“ und gilt die Unschuldsvermutung.
Letzteres ist sogar nicht falsch, blendet aber das System Boateng aus, dessen Einstellungen hinreichend aufgearbeitet sind, egal, wie das Strafverfahren nun ausgeht.
https://strafrecht-online.org/nl-2022-11-25 [II.]
Kommen wir aber zum Wunsch von Thomas Tuchel zurück, den wir ein wenig weiterspinnen wollen. Denn in letzter Zeit häufen sich in auffälliger Weise Äußerungen gerade auch von Fußballern in den Social Media, die wir mal als kontrovers bezeichnen wollen. Sie werden aber nicht etwa ignoriert, sondern erst einmal ausgiebig analysiert.
So lag es jüngst bei Vers 42 aus dem Koran, den Noussair Mazraoui vom FCB zitiert hatte und der von der Süddeutschen Zeitung in Zusammenarbeit mit einem Islamwissenschaftler einer präzisen Exegese unterzogen wurde.
https://sz.de/1.6288627 [kostenloses Probeabo]
Das ist zwar ganz interessant, vielleicht hat Noussair Mazraoui diesen Vers aber auch einfach mal gewürfelt und sich keinen großen Kopf um dessen Aussage gemacht.
So bekundete sein Fußballkollege aus Darmstadt Klaus Gjasula, er habe einen Beitrag auf Instagram allein wegen des ach so schönen Bildes geteilt, auf dem Kinder als Engel stilisiert worden seien, den israelfeindlichen Text aber gar nicht gelesen.
https://strafrecht-online.org/bild-gjasula
Auch US-Model Gigi Hadid, die auf Instagram fast 80 Mio. Follower haben soll, sah sich offensichtlich allein aufgrund ihrer palästinensischen Wurzeln zu einer Stellungnahme gemüßigt. Wohlwollend ist sie als Ausdruck der Trauer über das jüngste Leid Unschuldiger zu interpretieren, zu dem auch Israel beigetragen hat, in kritischer Perspektive lässt sie Ausgewogenheit und Differenziertheit vermissen.
https://strafrecht-online.org/stern-hadid
Und auch in diesem Fall folgte die Replik prompt, in diesem Falle sogar vom offiziellen Instagram-Account des Staates Israel.
Warum sich die Süddeutsche Zeitung und der israelische Staat einen solchen Kopf über derartige Äußerungen machen, erscheint auch durchaus verständlich. Denn die enorme Wirkmacht von Gigi Hadid, Karim Benzema oder Mesut Özil ist bekannt. Das kleine Problem: Wer Gigi Hadid folgt, folgt in aller Regel nicht dem Staat Israel, und die Fans von Noussair Mazraoui lesen vermutlich gemeinhin nicht die Süddeutsche Zeitung. Und ja, das ist ein Vorurteil.
Daher bleiben wir ein Fan von Thomas Tuchel, dass jeder bei seinem Leisten bleiben möge. Noussair Mazraouis Aufgabe wäre es demzufolge, Tore zu verhindern, auf dass Thomas Tuchel nicht gar so traurig ist, dass Jérôme Boateng nun doch nicht kam. Und Gigi Hadid würde sich darauf konzentrieren, auf dem Laufsteg nicht zu stolpern.
Aber auch an diesem Wunsch gibt es einen kleinen Haken: Der Leisten ist eben die Sichtbarkeit über Social Media geworden. Und hier verschwimmen die Disziplinen Fußball, Fashion und Politik wieder zu einem einzigen Brei.
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