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Alles wie immer? – fast
Noch vor wenigen Jahren wurden rechtsextreme Chatgruppen von Polizist:innen regelmäßig als „Einzelfälle“ bezeichnet und so ein vorhandenes Problem marginalisiert. Auch Herbert Reul, CDU-Innenminister in Nordrhein-Westfalen, ist diesem Narrativ immer wieder erlegen. Aus welchen Gründen auch immer geht er allerdings mittlerweile mit gutem Beispiel voran und benennt das Problem: Es seien zu viele Fälle, um noch von Einzelfällen zu sprechen.
https://strafrecht-online.org/dlf-reul-einzelfälle
Nur: Man sei machtlos. Ein Verlust des Beamtenstatus drohe in aller Regel nicht, da es dafür einer Verurteilung zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bedürfe. Hierfür in Betracht kommende Strafbarkeiten würden aber in der Regel ausscheiden. Schauen wir uns das einmal an:
Mit Blick auf eine Beleidigung i.S.d. § 185 StGB sollte man den Gedanken einer „beleidigungsfreien Sphäre“ schnell wieder verwerfen. Eine solche soll sich auf „Vertraute“ beziehen, bei denen die Möglichkeit essenziell ist, sich ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen austauschen zu können (BVerfGE 90, 255 [260]). Ob Arbeitskolleg:innen als derartige Vertraute zu interpretieren sind, erscheint bereits fraglich. Jedenfalls erfolgen diese Äußerungen in Bezug auf das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis, auch wenn sie in einer privaten Chatgruppe getätigt werden, was ebenfalls gegen die Einordnung als besondere Vertrauenssphäre spricht.
Eine Beleidigung scheidet dennoch in aller Regel aus, weil die adressierten Personen nicht hinreichend individualisierbar sind. Zwar sieht der BGH Beleidigungen unter einer Kollektivbezeichnung von § 185 StGB erfasst, allerdings nur dann, wenn es sich um einen überschaubaren Personenkreis handelt, dessen Mitglieder sich zweifelsfrei bestimmen lassen (BGH NJW 1990, 921 [922]). Eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 2 StGB (Volksverhetzung) wiederum scheitert am Merkmal des „Verbreitens“. Die Inhalte werden gerade keinem größeren, nicht mehr kontrollierbaren, Personenkreis zugänglich gemacht.
Strafbar sind die Inhalte der Chatgruppen also in der Regel nicht, jedenfalls insoweit ist Reul also zuzustimmen. Er möchte dies nun ändern, die von ihm ausgemachte „Strafbarkeitslücke“ schließen. So plädiert er für die Einführung eines § 341 StGB, der entsprechende Äußerungen „im dienstlichen Zusammenhang“ mit Strafe bewehrt, sofern sie in einer Weise getätigt werden, die geeignet ist, das Vertrauen in rechtsstaatliches Handeln von Behörden zu erschüttern. „Null Toleranz“ gelte auch für Beamt:innen.
https://strafrecht-online.org/lto-chats-stgb
Also wie immer, möchte man spöttisch meinen: Ein Problem wird endlich erkannt und zur Lösung nach dem Strafrecht gerufen, immerhin kostet das nichts und man macht etwas.
Eine solche Strafnorm würde tief in Grundrechte der Beamt:innen eingreifen. Betroffen wäre vor allem das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 I i.V.m. 2 I GG. Relativierend wäre insoweit zwar zu berücksichtigen, dass an Amtsträger:innen angeknüpft würde, die im „dienstlichen Zusammenhang“ Nachrichten schreiben, also im Hinblick auf Situationen, in denen sie sogar grundrechtsverpflichtet sind. Das ändert aber nichts an einem Eingriff.
Dieser wäre in Anbetracht der Aufgabe des Strafrechts als „ultima ratio des Rechtsgüterschutzes“ (siehe bereits den vorherigen Beitrag) allenfalls dann zu rechtfertigen, wenn ein solches schützenswertes und aus der Verfassung abzuleitendes Rechtsgut denn auszumachen wäre.
Wie sähe es insoweit parallel zur Volksverhetzung mit dem öffentlichen Frieden als dem geschützten Rechtsgut aus?
Ein solcher Weg verwundert erst einmal: Wie soll der „öffentliche Frieden“ gefährdet werden, wenn sich jemand in privaten Chatgruppen äußert, sei dies auch noch so menschenverachtend? Immerhin bleibt ja alles intern, sofern nichts schiefläuft.
Hiergegen könnte man im Sinne Reuls einwenden, es handele sich um mit erheblichen Eingriffsbefugnissen ausgestattete Beamt:innen und eben nicht um Privatpersonen. Diese sollen Rechtsgüter gerade schützen. Wenn sich Beamt:innen aber von den fundamentalen Werten distanzieren und sie bestimmte Menschen offensichtlich verachten, dann seien Rechtsgüter insbesondere marginalisierter Gruppen bereits unmittelbar gefährdet. Immerhin bestehe die Gefahr, dass sich die menschenverachtende Einstellung von denen, deren Job es letztlich ist, in Grundrechte einzugreifen, in der täglichen Arbeit manifestiert. Der öffentliche Frieden sei also bedroht.
Diese Argumentation erinnert ein wenig an diejenige zur Legitimation der §§ 129 ff. StGB (Bildung einer kriminellen Vereinigung etc.): Diese reagierten auf die Gefährlichkeit durch eine vereinigungsspezifische Dynamik mit ihren negativen Auswirkungen auf die Sicherheit und den Frieden in der Gesellschaft (vgl. BT-Drs. 18/11275, S. 10). Wir kritisieren diese Organisationsdelikte schon lange, weil sie mit einer ausufernden Vorverlagerung des Strafrechts einhergehen und letztlich allein an die Gesinnung anknüpfen.
https://strafrecht-online.org/nl-2015-01-23 [II.]
Genau hierin liegt auch das Problem im vorliegenden Kontext: Es geht um interne Chats. Reuls Vorstoß liefe also ein weiteres Mal auf eine erhebliche Vorverlagerung des Strafrechts hinaus: Ob sich die ausgemachte verfassungsfeindliche Gesinnung auch in einer konkreten Handlung manifestiert, verbleibt im Bereich des Hypothetischen. Der sog. „öffentliche Frieden“ scheidet als Rechtsgut demnach aus.
Kann aber nicht das im Gesetzesvorschlag erwähnte „Vertrauen in rechtsstaatliches Handeln von Behörden“ als Rechtsgut fungieren, das im Kontext der §§ 331 ff. StGB gut aufgehoben wäre? Diese sollen zumindest auch das Interesse der Allgemeinheit an einer korrekten Amtsführung schützen.
Mit dieser Formulierung ist allerdings durchaus zutreffend zum Ausdruck gebracht, dass es eines hinreichend konkreten Vertrauensgegenstandes bedürfte, der eben nicht in einer rechtschaffenen Gesinnung liegen kann. Eine solche hat das Strafrecht nichts anzugehen.
Wenn wir uns gegen dessen Einsatz wenden, bedeutet dies umgekehrt nicht zwingend, wir würden dafür plädieren, nichts zu unternehmen oder entsprechende Personen gar als geeignet für den Beamtendienst erachten. Wir reichen auch nicht in verwerflicher Weise einfach eine heiße Kartoffel weiter. Aber das Strafrecht kann es aufgrund seiner Eingriffsintensivität jedenfalls nicht richten. Ziehen wir uns also zurück und beobachten wir mit Interesse, ob das Beamtenrecht eine Verschärfung vertragen würde.
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