Der Artikel
Geständnis oder Gefängnis
Diese Alliteration gefällt uns. Ob sie zur Empörung taugt, ist eine andere Frage. Klaus Ott von der Süddeutschen Zeitung ist jedenfalls empört. Es handele sich um ein unmoralisches Angebot, so dürfe ein Rechtsstaat nicht agieren. Das Landgericht München II solle sich nicht mit einem billigen Deal aus der Verantwortung stehlen und im Fall Audi klipp und klar sagen, zu welchem Ergebnis es nach jahrelangen Ermittlungen und jahrelangem Prozess komme.
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Das ist eine ebenso erfrischende wie aufgrund der Überraschung auch ein wenig verwunderliche Einschätzung, was von diesem im wahrsten Sinne des Wortes schmutzigen Deal zu halten ist. Denn Klaus Ott gehört dem Ressort „Investigative Recherche“ an und bezeichnet als seinen Schwerpunkt „inzwischen“ alle Formen von Wirtschaftskriminalität.
Vielleicht hätte er mal seine Kollegen Wolfgang Janisch oder Heribert Prantl fragen sollen, was es mit diesen eigenartigen Verständigungen oder Absprachen auf sich hat, die seit mehr als einem halben Jahrhundert dokumentiert sind. Natürlich kann man sich gerne weiterhin empören, neu ist das aber alles nicht.
„Bewährung gegen Geständnis“ gehört dabei zu den Klassikern aus dem Setzbaukasten eines Deals, was bereits deshalb kurios ist, als dem Geständnis für die Suche nach der materiellen Wahrheit tunlichst kein großes Gewicht eingeräumt werden sollte. Dies gilt gerade in den hier in Frage stehenden Szenarien, in denen mit sog. Sanktionsscheren gearbeitet wird. Die bei einem ausbleibenden Geständnis drohende und die bei devotem Verhalten mögliche Strafe klaffen dabei derart weit auseinander, dass man sich geradezu gezwungen sieht, selbst ein taktisches Geständnis abzugeben.
Alle Versuche der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Gesetzgebers, dieser das Strafgesetzbuch wie die Strafprozessordnung in multipler Weise mit Füßen tretenden Praxis Einhalt zu gebieten, blieben ohne große Wirkung und hatten im Wesentlichen lediglich zur Folge, dass man rhetorisch ein wenig vorsichtiger zu Werke ging.
Wem diese Praxis etwas bringt? Den Strafverteidiger:innen, die sich die zähen und wenig lukrativen Tage vor Gericht ersparen, aber auch den staatlich Bediensteten, die ihre Fallzahlen steigern, die Erfolgsquote von Rechtsmitteln reduzieren und auf diese Art und Weise ihre Karrierechancen erhöhen. Nicht zuletzt fördert ein vordergründiger Konsens das persönliche Wohlbefinden, das bei konfliktbehafteten Prozessen leidet. Die viel beschworene Arbeitsüberlastung der Justiz erscheint uns demgegenüber häufig vorgeschoben, insbesondere auch deshalb, weil Richter:innen ihr Tempo selbst bestimmen.
Fehlt jemand? Ach ja, die Angeklagten könnten zu den Leidtragenden gehören, jedenfalls dann, wenn sie nicht von Personen vertreten werden, die auf der Deal-Klaviatur behände zu spielen wissen und deshalb ordentlich kassieren.
Womit wir wieder bei Rupert Stadler wären. Wenn Klaus Ott mitfühlend vermerkt, es gehe bei ihm mit seinen 60 Jahren immerhin um eine Lebensentscheidung, denken wir wiederum an all diejenigen, die täglich im Schnellverfahren buchstäblich über den Tisch gezogen werden. Und wir sind zudem zuversichtlich, dass das hochkarätige Team der Strafverteidiger:innen des Angeklagten einen ziemlich passablen Deal provoziert hat und nicht die Situation in Rede steht, in der Stadler sich zu einem bloß taktischen Geständnis gezwungen sieht. Wir hätten uns eben gewünscht, dass Klaus Ott bei all seiner Liebe für die Wirtschaftskriminalität auch einmal einen Blick auf die kleinen Fische, das Alltagsgeschäft der Justiz, geworfen hätte.
Rupert Stadler will wohl erst in der übernächsten Woche das Wort ergreifen und hält sich bis dahin bedeckt: Wir gehen davon aus, dass er sich für das Geständnis entscheiden und die passenden Worte finden wird, die alles in einem milderen Licht erscheinen lassen. Auch für diese Einlassung wird er professionelle Unterstützung haben.
Und wir werden dann doch mit Interesse das Urteil zur Kenntnis nehmen. Denn selbst bei einem Geständnis, von den Abgasmanipulationen gewusst zu haben, wären noch einige rechtliche Hürden für die Bejahung des Betrugstatbestandes zu überwinden. Dass diese nach Ansicht des Gerichts locker zu meistern sind, gehört zum Pokerspiel dazu.
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