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Wir sind Menschen und sollten auch so behandelt werden
Jüngst hatte das BVerwG über existenzielle Fragen des Zusammenlebens in Freiburg zu entscheiden, und das gleich zweifach. Zunächst hat es die Parkplatzkosten für Anwohner:innen gekippt und dann den Normenkontrollantrag zweier Asylbewerber bezüglich der Zustände in der Freiburger Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) abgelehnt. Doch lassen wir die Ironie einmal beiseite: In einem der Fälle ging es tatsächlich um existenzielle Fragen des menschlichen Miteinanders, und zwar nicht in demjenigen, der Eingang in sämtliche überregionale Leitmedien und nicht zuletzt sogar auch in „Auto Motor und Sport“ gefunden hat.
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Doch was war passiert? Zwei Asylbewerber, die zunächst in der LEA in Freiburg „untergebracht“ wurden, sahen sich durch die Regeln der dort geltenden Hausordnung in ihren Grundrechten verletzt. Diese gestattete es Mitarbeitenden des Regierungspräsidiums und privaten Dienstleistenden, Zimmerkontrollen durchzuführen. Problematisch war aber, dass die betroffenen Personen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung überhaupt nicht mehr in der LEA wohnten: Bestand also überhaupt noch ein Rechtsschutzbedürfnis?
Die Vorinstanz – der VGH BW (Urt. v. 2.2.2022 – 12 S 4089/20) – hat die Frage überzeugend mit „Ja“ beantwortet: Der Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags gem. § 47 VwGO steht nicht entgegen, dass die antragstellende Person nicht mehr unmittelbar beschwert ist, sofern sie weiterhin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Ungültigkeit der Rechtsvorschrift hat. Ein solches besteht dann, wenn ein tiefgreifender Grundrechtseingriff im Raum steht, der typischerweise auf kurze Dauer angelegt ist und daher ansonsten praktisch keine gerichtliche Entscheidung möglich wäre.
So liegen die Umstände hier: Gem. § 47 I 1 AsylG besteht für Antragstellende auf Asyl eine Wohnpflicht bis zur Entscheidung über den Asylantrag, bei Ablehnung bis zur Ausreise, längstens aber 18 Monate. Die Umstände sind also gerade darauf ausgelegt, dass Menschen hier nur kurzzeitig unterkommen. Dann die Zulässigkeit eines Antrags stets wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen, liefe auf die Etablierung eines der gerichtlichen Überprüfung entzogenen Bereichs exekutiver Gestaltung hinaus.
Doch wie sieht es aus mit einer Grundrechtsverletzung durch die in der Hausordnung festgelegten Regeln, insbesondere im Hinblick auf das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG? Einig war man sich bislang nicht einmal, ob es sich bei den Zimmern überhaupt um Wohnungen i.S.d. Art. 13 GG handelt. So meinte das VG Stuttgart (Urt. v. 18.2.2021 – 1 K 9602/18) zirkulär: Zimmer in Erstaufnahmeeinrichtungen seien regelmäßig keine Wohnungen i.S.v. Art. 13 GG, wenn das hierfür erforderliche Mindestmaß an räumlicher Privatsphäre aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Nutzungsverhältnisses nicht gegeben sei. Mit anderen Worten: Wenn die Länder ihre Erstaufnahmeeinrichtungen derart defizitär ausgestalten, dass kein ausreichendes Maß an räumlicher Privatsphäre vorhanden ist, dann ist das letzte Fünkchen Privatheit, das den Menschen noch verbleibt, auch nicht schützenswert.
Der VGH schob dieser zynisch anmutenden „Begründung“ im Freiburger Fall einen Riegel vor. Wie auch sonst fallen unter den Begriff der Wohnung solche Räume, die der allgemeinen Zugänglichkeit entzogen sind und zur Stätte privaten Lebens und Wirkens gemacht werden, sodass die dort Lebenden ein Recht haben, in Ruhe gelassen zu werden. Dass die Zimmertüren nicht abschließbar sind und meist bis zu drei miteinander nicht verbundene Personen sich ein Zimmer teilen, steht einer solchen Entfaltung der Privatsphäre nicht entgegen. Auch die Pflicht aus § 47 I 1 AsylG, dort zu wohnen, ändert daran nichts.
Wenngleich der VGH hier nachvollziehbar argumentiert, hat er darüber hinaus Bedenkliches angedeutet: Die besondere Unterbringungssituation spreche dafür, den Gewährleistungsgehalt des Art. 13 GG einzuschränken, wie es das BVerfG bereits im Hinblick auf Geschäftsräume angenommen hat (BVerfGE 32, 54 [75 f.]).
Dieser Vergleich taugt nicht, ganz im Gegenteil. Mit Blick auf das hier ebenfalls einschlägige allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1 I i.V.m. 2 I GG) hat das BVerfG verschiedene Sphären unterschiedlicher Schutzniveaus etabliert: Die Sozialsphäre, bei der Eingriffe am einfachsten zu rechtfertigen sind, die Privatsphäre, bei der erhöhte Anforderungen an den verfolgten Zweck zu stellen sind, und schließlich die unantastbare Intimsphäre (Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 629 ff., 648 ff.). Geschäftsräume betreffen die Sozialsphäre, allenfalls die Privatsphäre. Die Zimmer in der LEA aber dienen dem privaten Rückzug und betreffen damit in jedem Fall die Privatsphäre, wenn nicht sogar die Intimsphäre. Die prekären Umstände, unter denen die Menschen in einer LEA leben, sprechen gerade für eine besondere Schutzwürdigkeit. Gem. § 47 I 1 AsylG sind die einen Asylantrag Stellenden sogar verpflichtet, in solchen Einrichtungen zu „wohnen“. Dann aber den Schutz des Art. 13 GG einzuschränken, der gerade das „Wohnen“ betrifft, ist widersprüchlich.
Nach der Hausordnung konnten die Räume stets betreten und durchsucht werden. Dass eine Durchsuchung, für die Art. 13 II GG einen Richtervorbehalt statuiert, verfassungswidrig ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Entsprechendes gilt auch für die Vorschriften, die ein bloßes Betreten ermöglicht haben. § 11 III der Hausordnung hat dies schon „zur Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung“ gestattet, womit den strengen Anforderungen des Art. 13 VII GG, der ein Betreten erst zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässt, nicht Genüge getan ist. Der VGH hat somit die Regelungen der Hausordnung für unwirksam erklärt.
Das BVerwG fiel in der Revision hinter diese Erkenntnisse zurück. Es bejahte zwar über ein anderes Verfahren die Eröffnung des Schutzbereichs von Art. 13 GG, verneinte aber wieder gegen die überzeugende Begründung des VGH die Zulässigkeit (Pressemitteilung Nr. 48/2023 vom 15.6.2023). Mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 IV GG hat dies nichts mehr zu tun.
So ist zwar die Hausordnung der Freiburger LEA mittlerweile geändert und sind die Unterkünfte an Art. 13 GG zu messen. Eine erfolgreiche Klage wird den Betroffenen aber nach wie vor in aller Regel verwehrt bleiben.
Wo bleibt sie also, die menschengerechte Behandlung?
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