24.10.2024


Altes Neues vom PPP-Verstärkerkreis

Der politisch-publizistische Verstärkerkreislauf ist eine Wortschöpfung des Kriminologen Sebastian Scheerer aus den 70er Jahren (KrimJ 10 [1978], 223 ff.). Er handelt vom wechselseitigen Aufschaukeln effektheischender Presseartikel und politischer Forderungen. Allein dieser Umstand hat uns animiert, ein drittes P hinzufügen, das für den populistischen Charakter stehen soll. Hoppe und Neubacher wiederum sprechen sich für eine Erweiterung des politisch-publizistischen Verstärkerkreislaufs um die Justiz und die Öffentlichkeit aus (Hoppe/Neubacher MschrKrim 105 [2022], 238, 245). Da kein P dabei ist, lassen wir diesen Aspekt erst einmal aus ästhetischen Gründen unberücksichtigt und konzentrieren uns auf die ersten drei P.

Die Badische Zeitung ist in diesem Metier seit vielen Jahren mit Hingabe dabei, und weil dieses Käseblatt auch noch eine faktische Monopolstellung in der stolz so bezeichneten Regio innehat, funktioniert die publizistisch-populistische Agitation noch einmal besonders gut. Politik und Polizei (ja, noch ein P) reagieren stets eilfertig auf dem Fuße.

Wie es sich für eine Gazette wie die Badische Zeitung gehört, gibt es in dieser noch einmal besonders einflussreiche Boulevard- oder Klatschreporter, die mit Sicherheit bei den besonders wichtigen Kommunalpolitiker:innen ein und aus gehen und hierüber fortwährend einige spannende, vielleicht sogar pikante Hintergrundgeschichten in ihre Zeitung einfließen lassen können. Für uns steht Joachim Röderer in dieser Kategorie ganz weit oben, der sich damit unseren Ehrentitel „Baby Schimmerlos der Provinz“ mit Fug und Recht redlich verdient hat. Wer es so weit geschafft hat, bei dem verschwimmen auch die Grenzen des Machbaren, er ist eben nicht lediglich Gesellschaftskolumnist, sondern eigentlich auch die rechte Hand des Oberbürgermeisters und ein wenig auch Polizeipräsident.

Jüngstes Beispiel: Unter dem Titel „Hotspot Stüh­linger Kirchplatz: Auf Spurensuche am Freiburger Kriminalitätsschwerpunkt“ berichtet und bewertet Joachim Röderer nicht nur, sondern er ermittelt auch. Dass er das Label eines Kriminalitätsschwerpunkts und Hotspots im Zuge eines
logischen Fehlschlusses gleich einmal voraussetzt, stört keinen großen Geist.

https://strafrecht-online.org/bz-spurensuche [Abo oder über UB]

Dieses Thema hat dabei durchaus eine lange Tradition, die jungen Männer aus Nordafrika, die in der Nacht das Gelände übernehmen, sind in gewisser Weise das Leitmotiv von Baby Schimmerlos. Sein mehr als zehn Jahre zurückliegendes Zitat „Es gibt in manchen Nächten, an manchen Stellen der Altstadt rechtsfreie Räume. In diesen Nächten nach 2 Uhr in der Frühe ist Freiburg eine andere Stadt, die als Breisgau-Ballermann sich selbst überlassen wird.“ hat Kultstatus bei uns.

https://strafrecht-online.org/pdf.2013_12_06 [VII.]

Die weitere Zwischenüberschrift „Viele tragen Jeans, Turnschuhe, sportliche T-Shirts“ lässt indes aufhorchen. Hier zeigt sich ganz deutlich der investigative Ansatz des Autors, ein solches Outfit hätten wir nun wirklich nicht erwartet.

Bei so viel Neuem dürfen ein paar gut abgehangene Textbausteine zur Kriminalitätshochburg, zur Sicherheitspartnerschaft, aufdringlichen Drogengeschäften und dreisten Diebstählen nicht fehlen.

Die vom Bürgertum okkupierte Kommentarspalte honoriert dies in satten 46 Einträgen ohne jede Einschränkung: „Ein Artikel in der BZ, der in die Tiefe geht, auch Zahlen liefert und die Dinge ohne Beschönigung und Folklore beschreibt!“ „Fundierter Artikel, vielen Dank.“ „Gu­te Recherche. Respekt.“

So ganz genau wissen wir jetzt nicht, was diese Kommentatoren so genau lasen. Aber sie meinen nahezu unisono Vergleichbares, nämlich dass dieses furchteinflößende Gesindel wegmüsse, und zwar sofort. Auch der zu Worte kommende Revierleiter Hildenbrand hat diesen Eindruck weggewischter Zweifel. Während Teile der Gesellschaft früher noch gegen Razzien im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft aufbegehrt hätten, seien diese nunmehr verstummt. Auch hier also eine Zeitenwende.

Wenn Böhmermann in der letzten Woche auf seine übliche Art die Frage stellte, welche Rolle das Aussterben des Lokaljournalismus auch für das Erstarken der AfD spielen könnte, so möge sich die Badische Zeitung nicht in gewohnter Manier auf ihre breiten Schultern klopfen. Nur einem solchen Lokaljournalismus wäre nachzutrauern, der nicht darum bestrebt wäre, den politisch-publizistisch-populistischen Verstärkerkreis­lauf hohldrehen zu lassen.

Böhmermann macht die kostenlosen Anzeigenblätter als die wahren Feinde eines differenzierten Meinungsspektrums aus, die die AfD beförderten. Die Badische Zeitung ist ganz nah dran. Nur Geld kostet sie noch, das freilich bei der Stammleserschaft hinreichend vorhanden ist. Schön, dass sich der Hotspot-Artikel zumindest hinter einer Bezahlschranke verbirgt.

https://strafrecht-online.org/stern-boehmermann-lokal

https://strafrecht-online.org/boehmermann-lokal


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