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Zu viel des Guten?
Am Montag und Dienstag fand der diesjährige Digital-Gipfel in Frankfurt statt. Der Bundeskanzler bekundete, die digitale Transformation müsse an Fahrt gewinnen.
Der Bereich der Bildung scheint schon einen Schritt weiter zu sein. Hier ist man nämlich in der Phase der Ernüchterung angelangt. Sie ist Wasser auf den Mühlen all derer, die sich von vornherein diesem neumodischen Zeugs verweigert haben, vermutlich allerdings eher aus Trägheit oder aus Sorge, irgendwie im Klassenzimmer oder Hörsaal überflüssig zu werden. Macht dann auch keinen Spaß.
In den skandinavischen Ländern, die gemeinhin als Vorreiter auch in Sachen der Digitalisierung angesehen werden, scheint ein Rollback eingesetzt zu haben. Die Schulen müssten – so der dänische Bildungsminister – „das Klassenzimmer als Bildungsraum zurückerobern“. Man sei als Gesellschaft zu „verliebt“ gewesen in die Wunder der Digitalwelt. Die dänischen Jugendlichen seien zu Versuchskaninchen in einem digitalen Experiment gemacht worden, wofür er sich entschuldige.
Jetzt gelte es, wieder Bücher anzuschaffen und Bildschirme nur noch dann einzusetzen, wenn es didaktisch und pädagogisch sinnvoll sei.
Auch wenn wir nicht jeden Move Dänemarks mitzumachen bereit sind, insbesondere nicht in der in erschreckender Weise nach Rechtsaußen abgedrifteten Asylpolitik, lohnt in diesem Fall auch für das deutsche Bildungssystem ein reflektierendes Innehalten. Bislang war nur von einem atemlosen Aufholen nach dem Wachrüttler Corona die Rede.
Dabei gilt es sich in einem ersten Schritt einmal mehr bewusst zu machen, dass ein Medium kein didaktisches Konzept, sondern die Möglichkeit für ein solches ist. Vor diesem Hintergrund ist die entscheidende Frage doch diejenige, was in dem kriegerisch so formulierten zurückeroberten Klassenzimmer geschehen soll. Würde es doch wieder für etwas genutzt werden, was eingängiger auf andere Weise transportiert werden könnte, hätte man mit diesem neuen Raum nichts gewonnen, sondern würde nur erneute Unzufriedenheit produzieren. Denn möglicherweise gelingt es einem, das Digitale aus dem Hörsaal oder Klassenzimmer zeitweilig zu verbannen, aber mit Sicherheit nicht aus der übrigen und dann doch für junge Menschen weit beeindruckenderen Welt.
Es geht mit anderen Worten um ein fortzuentwickelndes so bezeichnetes Blended Learning: Die digitale und die analoge Welt sind in sich wechselseitig unterstützender Weise zusammenzuführen.
Der in dieser Hinsicht unaufgelöste Konflikt besteht in diesem Fall allerdings darin, wer für die optimale Kombination zuständig ist: die Lehrperson oder die Adressierten? Ein Beispiel: Wenn RH ein Konzept dazu entwickelte, wofür er die Präsenzveranstaltungen nutzen und was er als Begleitmaterial zur Verfügung stellen will, sollte er dann darüber befinden können, ob er die Vorlesungen streamt? Oder sollte er den Studierenden die Entscheidung überlassen, was ihnen als der vorzugswürdige Weg erscheint, was im Zweifel bedeuten würde, lieber im digitalen Raum zu verbleiben?
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse gehen in die Richtung, den Anteil des Digitalen auch im Sinne konzentrierten und effizienten Lernens nicht überzustrapazieren. Ist es eine Bevormundung der Studierenden, wenn man das Angebot nicht in deren Sinne maximal, also auch mit einem jederzeit abrufbaren Stream, ausgestaltet? Oder ist es Ausfluss der Freiheit der Lehre, die immer auch mit Präferenzen zu tun hat? RH ist sich nach wie vor nicht sicher. Dieses Semester gibt es mal keinen Stream, wohl aber ein umfassendes sonstiges digitales Begleitangebot, um Freiräume im Hörsaal zu gewinnen.
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