20.03.2024


Neun Thesen zu § 129 StGB und der Letzten Generation

Über Daniela Klatte sind die Medien gleich welcher Couleur nun wieder prall mit Artikeln über die RAF gefüllt. Und fast fühlt man sich gemüßigt, den heutigen Studierenden nicht nur schlicht diesen Begriff, sondern auch die Zeit näherzubringen, die Peter-Alexis Albrecht aus gutem Grunde mit Wahnsinn umschreiben könnte (siehe unten V.).

Immerhin können wir der heutigen Generation junger Jurastudierender mit den §§ 129 ff. StGB noch Strafnormen präsentieren, die in dieser Zeit ihren Ausgangspunkt nahmen und auf einen intensivierten Kampf gegen den so bezeichneten linken Terror ausgelegt waren. So wurde § 129a StGB durch das sog. Anti-Terroristengesetz 1976 in das Strafgesetzbuch eingefügt. Prüfungsstoff sind die §§ 129 ff. StGB freilich nicht. Warum sollten sich die Studierenden damit auseinandersetzen, wenn die Herrschenden hiermit Politik machen?

https://strafrecht-online.org/bpb-raf

Die Struktur der §§ 129 ff. StGB ist dabei identisch. Sie kommen auf den ersten Blick unscheinbar als sog. Organisationsdelikte daher. Und weil eine gute Organisation als grundgesetzlich abgesicherter elementarer Baustein von Staat und Gesellschaft angesehen werden kann, haben diese Strafnormen auch heute noch ihre Attraktivität, nunmehr eben im Kampf gegen die Letzte Generation.

Neun Thesen:

(1) Vorverlagerung des Strafrechts

129 StGB steht paradigmatisch für eine zunehmende Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes in solche Sphären, die nicht einmal mit einer abstrakten Gefährdung von hinreichend konkreten Rechtsgütern zu assoziieren sind und damit mit dem Strafrecht nichts zu tun haben dürften. Die schlichte Mitgliedschaft in einer negativ konnotierten Vereinigung löst den Strafvorwurf aus.

(2) Unterlaufen des individuellen Schuldvorwurfs

Durch den Verzicht auf das Erfordernis eines individuellen Schuldnachweises im Hinblick auf eine konkrete Tat findet eine Abkehr vom Tatstrafrecht und eine Hinwendung zu einem Gesinnungsstrafrecht statt. Die Pönalisierung von Gesinnungen ist aber mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen. Anschauungen, die das Internum nicht verlassen, sind über das allgemeine Persönlichkeitsrecht grundrechtlich geschützt.

(3) Ermittlungsparagraf

Angesichts der großen Diskrepanz zwischen eingeleiteten Ermittlungsverfahren und einschlägigen Verurteilungen liegt der Schluss nahe, dass die Norm Ermittlungsbehörden vor allem dazu dient, mithilfe weitreichender strafprozessualer Ermittlungsmaßnahmen wie der Telekommunikationsüberwachung bei einem Anfangsverdacht nach § 129 StGB Erkenntnisse über bestimmte Gruppierungen zu sammeln, um diese anschließend anderweitig zu verwerten.

(4) Politisches Strafrecht

Die extrem weite und unscharfe Tatbestandsfassung birgt die Gefahr, dass die Norm in der Praxis selektiv auf bestimmte missliebige Gruppierungen angewendet wird und somit zu einem Feindstrafrecht mutiert. Mit einer entsprechenden Kriminalisierung oder auch Maßnahmen, die unter Smart Repression fallen, gehen Abschreckungs- und Einschüchterungseffekte im Hinblick auf die Ausübung von Grundrechten einher („Chilling Effects“).

(5) Self-fulfilling Prophecy

Das Labeln einer Gruppierung als „kriminelle Vereinigung“ kann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führen: Die dieser Gruppierung zugeschriebenen Straftaten steigen durch die Verwirklichung des § 129 StGB statistisch weiter an, die erwähnten Effekte einer solchen Kriminalisierung können zu einer weitergehenden Abschottung und Radikalisierung der Mitglieder führen.

(6) Verfassungskonforme Reduktion

Wer unter diesen Voraussetzungen § 129 StGB nicht bereits aus guten Gründen als unrettbar verfassungswidrig ansieht, muss die Norm zumindest in erheblicher Weise verfassungskonform einschränken. Dies hat bereits der Gesetzgeber in BT-Drs. 18/11275, S. 10 erkannt: „Aus dem Schutzzweck der Norm, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Bedeutung von § 129 StGB als Katalogtat für bestimmte strafprozessuale Möglichkeiten folgt […], dass die von der Vereinigung geplanten oder begangenen Straftaten eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten und unter diesem Gesichtspunkt von einigem Gewicht sein müssen.“

(7) Ziviler Ungehorsam

Die Letzte Generation praktiziert zivilen Ungehorsam in Gestalt von Grenzüberschreitungen. Ungehorsam ist aber keine Kategorie eines legitimen Strafrechts, sondern eher ein Indiz gegen den Einsatz von Strafrecht. Gehorsam ist kein Rechtsgut. Eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit (vgl. These 6) herbeireden zu wollen, ist schlicht unredlich.

(8) Fernziele

Wer behauptet, Fernziele der Letzten Generation hätten außer Betracht zu bleiben, um das Strafrecht von politischen Diskussionen freizuhalten, verkennt zweierlei: Zum einen darf die Rettung des Klimas kein Fernziel sein, wenn man tatsächlich noch eine minimale Chance haben will. Zum anderen geht es nicht um eine politische Forderung, sondern einen Verfassungsauftrag, der mittlerweile über Art. 20a GG seit knapp 30 Jahren im Grundgesetz verankert ist und durch den Klimabeschluss des BVerfG 2021 weiter geschärft wurde.

(9) Affinität zum Strafrecht

Der Letzten Generation geht es nicht um die Begehung von Straftaten, sondern darum, die Gesellschaft zu einem Moment des Innehaltens oder Nachdenkens zu bringen. Sie nimmt die noch herrschende Sichtweise einer Kriminalisierung dieser Aktionen zivilen Ungehorsams in Kauf. Bei einer solchen Intention ist § 129 StGB bereits von seinen eigenen Voraussetzungen her nicht anzuwenden. Denn die Begehung von Straftaten ist allenfalls „ein Zweck […] von untergeordneter Bedeutung“ (§ 129 III Nr. 2 StGB).


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