13.05.2024


Privilegien & Langmut

Sämtliche Gesellschaftsmodelle mit egalitären Zügen haben sich als Utopien erwiesen. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft auch in Deutschland immer weiter auseinander. Und der ganz überwiegende Teil der Gesellschaft belässt es dabei, sich demütig Traumvillen in Nobelvierteln, mondäne Urlaubsorte und Luxusrestaurants eben im Fernsehen anzuschauen. Das Gros kauft bei Penny statt bei Alnatura und richtet sich auf überschaubaren Quadratmetern am Rande einer Schnellstraße ein.

Die Logik einer kapitalistischen Marktwirtschaft mit deutlichen Zügen der eingestandenen Mitverantwortung für den jeweiligen Zustand hat sich in der Gesellschaft eingebrannt, die Rudimente des Sozialen reichen ganz offensichtlich aus, um die in nicht privilegierten Verhältnissen Lebenden ruhigzustellen.

Während sich diese also bildlich staunend die Nasen an den Schaufenstern des Reichtums plattdrücken, setzt sich der geradezu stoische Langmut aber auch bei solchen Leistungen fort, die eine soziale Komponente beinhalten und einem identischen Ziel dienen. Wer nach Frankfurt mit dem Zug reisen will, muckt nicht auf, wenn er in der 2. Klasse wegen Überfüllung auf dem Boden Platz zu nehmen hat, während er in der 1. Klasse gähnende Leere und nur wenige natürlich wichtige Telefonate führende Geschäftsleute ausmacht.

Im gut gefüllten Wartezimmer der Hausärztin werden überraschenderweise Personen aufgerufen, die gerade erst Platz genommen haben und mutmaßlich der Kaste der Privatpatient:innen angehören. Und in Freizeitparks rauschen mit sog. Fast Passes fröhliche Menschen an den Warteschlangen auf dem Weg zur neuen Attraktion vorbei.

Aber auch wenn RH sich zugegebenermaßen den letzten Aspekt nur berichten ließ, muss er sich natürlich auch an die eigene Nase packen: Mag die Mensaschlange auch bis zum Tanzbrunnen reichen, er selbst kann sich in Windeseile in der Privilegierten-Mensa der Mitarbeitenden sein Essen auftun und hat lediglich eine übergroße Portion zu vermeiden.

Bei all diesen Leistungen gäbe es ohne großen Aufwand Alternativen, die das Leben für alle hieran Interessierten erträglicher machen würden. Einfach die Züge so ausgestalten, dass für alle Reisenden hinreichend Platz unter erträglichen Bedingungen existiert. Der Trend geht hingegen genau in die entgegengesetzte Richtung: So sollen in ICE-Zügen Zweierabteils mit entsprechendem zusätzlichen Raumbedarf und natürlich als Premiumangebot für die „wenig preissensible Kundschaft“ geschaffen werden.

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Auch der Flughafen ist eine solche Domäne dieser Ungleichheiten. Wer nach Lima reisen will oder muss, hat die Alternative zwischen verschwenderischem Luxus und Rückenbeschwerden. Vielleicht ließe sich dieses Beispiel auch unter die oben genannte Kategorie des offensichtlich eben hinzunehmenden unterschiedlichen Reichtums fassen, aber es bleibt doch eine angebotene Leistung, nämlich der Flug von A nach B, der sich auch sozial verträglicher organisieren ließe.

Die Ungleichheiten beginnen bereits vor dem Flug. Wir lassen mal die eklatanten Unterschiede bei den Warteschlangen beim Einchecken beiseite und konzentrieren uns ein weiteres Mal auf eine Fast Lane. Eine solche existiert auch bei den Sicherheitskontrollen auf deutschen Flughäfen und wird bislang unkritisch geduldet. Zimmermann und Stolz haben nun gezeigt, dass derartige Privilegien für sog. Premiumkunden nicht nur unfair, sondern sogar strafbar sind. Der Handel „Zeit gegen Geld“ ist bei dem Staat zuzurechnenden Sicherheitskontrollen an Flughäfen ein unter die Amtsträgerkorruption nach §§ 332, 334 StGB fallender Sachverhalt.

Geradezu kurios: Gemeinhin agiert das Strafrecht bei der Lösung von Gerechtigkeitsproblemen in der Gesellschaft nicht gerade als Front Runner, sondern stabilisiert diese ungleichen Verhältnisse eher. Wir sind gespannt darauf, wie die Mächtigen in der Gesellschaft, die es sich verdient haben, diesen Kieselstein aus dem Wege räumen werden.

https://www.lto.de/persistent/a_id/54228/

ausführlich Zimmermann/Stolz JZ 2024, 233 ff. („Die Strafbarkeit von Beschleunigungskorruption am Beispiel von Airport Fast Lanes“)


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