21.06.2024


Wo sind die kleinen Gangster hin?

Sie sind weg, die kleinen Gangster. Da bleibt uns nur ein ebenso antiquiertes wie erschrockenes „Ach, du liebe Zeit!“ Kann man sich heutzutage wirklich auf nichts mehr verlassen? Was ist nur aus der Age-Crime-Curve geworden, die so stabil wie die dem Winter regelmäßig den Garaus machende West-Wetterlage zu sein schien? Hiernach nimmt die Delinquenzbelastung in der Phase der Jugend stetig zu, um dann nach dem Erreichen eines Scheitelpunktes, der bei Männern zwischen 19 und 20 Jahren liegt, in den jungen Erwachsenenjahren wieder zu sinken und sodann in den Keller zu gehen.

James Tuttle von der University of Montana macht nun zwar für Männer in den Jahren 1985, 1995 und 2005 eine der klassischen Verteilung entsprechende Kurve aus. 2019 hingegen wurden die meisten Männer nicht wie bisher mit 18 oder 19 Jahren verhaftet, sondern erst mit 27 Jahren. 17-jährige Männer hatten eine niedrigere Verhaftungsrate als Männer in den 40ern.

Sebastian Herrmann spricht in seinem SZ-Beitrag von einer Verschiebung der Kurve, was ein wenig missverständlich ist. Denn die Beschreibung suggeriert, man würde nunmehr eben erst in späteren Jahren zunehmend strafrechtlich auffällig. Tatsächlich haben die Kurven bildlich gesprochen im Laufe der Beobachtungszeiträume schlicht eine erhebliche Stauchung in den Jahrgängen des Delinquenz-Peaks von oben her zu geringeren „Arrest Rates“ hin erfahren, nicht etwa einen Schubs von der Seite.

https://strafrecht-online.org/sz-gangster [kostenloses Probeabo; hierüber auch Tuttle abrufbar]

Vor dem Hintergrund der regelmäßig gemalten Horrorszenarien einer zunehmend gewalttätigen bzw. allgemein delinquenten Jugend erfreut dieser Befund natürlich zunächst einmal, wirft allerdings auch Fragen auf. Gehört nicht die Ubiquität der Delinquenz in dem Sinne zu den Grundkonstanten auch der kritischen Kriminologie, dass sie eben alle betrifft? Gerade hieraus speist sich ja auch der Vorwurf einer ungleichen Zuschreibung des Labels „Du bist kriminell.“ Und war das Credo von RH nicht stets dasjenige gewesen, eher bei den wenigen ohne Delinquenz durchs Leben kommenden Jugendlichen nachhaken zu müssen, was denn bei ihnen schiefgelaufen sei? Müssen wir uns also Sorgen um unsere Jugendlichen machen?

Ein wenig schon. So wird insbesondere ein verändertes Freizeitverhalten von Svensson und Oberwittler als Hauptfaktor für den Rückgang von Jugendkriminalität genannt. Wer allein auf seinen Computer oder das Handy starre, statt in seiner Peergroup bei ein paar Bieren abzuhängen, komme eben seltener auf blöde und im Zweifel strafbare Ideen.

https://strafrecht-online.org/svensson-oberwittler-2021

Wir würden gern den Alkohol als Argumentationstopos herausnehmen und lediglich als sozialtypische Begleiterscheinung interpretieren. Und wir verweisen darauf, dass auch über Handy und PC die eine oder andere sogar durchaus beunruhigende Straftat begangen werden kann. Aber diejenigen Straftaten, die nicht selten auch auffliegen, sind tatsächlich offensichtlich ebenso im Niedergang begriffen wie eine Kultur des Miteinanders unter jungen Menschen.

Zu unserer Beruhigung können wir allerdings noch immer darauf vertrauen, dass trotz der gestauchten Crime-Age-Kurve „ein gewisses Maß an natürlicher leichterer Jugendkriminalität“ (Klaus Boers) bleiben wird.