Der Artikel
Ein Geschmäckle macht noch keine Strafbarkeit
Das Finale ist gespielt, die Fußball-EM ist vorbei, die Bilder bleiben. Bilder der erfrischend aufspielenden spanischen Flügelzange, von Harry Kane, der ein weiteres Mal titellos blieb und natürlich von zahlreichen deutschen Politiker:innen, die sich auf den Ehrenplätzen versammelten. Um es mit den Worten des Strafrechtsprofessors Till Zimmermann auszudrücken, bleiben nicht nur Bilder haften, es bleibt auch ein „Geschmäckle“.
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Denn Baerbock, Lauterbach, Scholz und Co. mussten die Tickets nicht selbst zahlen, sondern konnten auf ein Kontingent von knapp 700 Freikarten zugreifen, das die UEFA der Politik zur Verfügung stellte. Selbstredend ging es dabei nicht um Plätze hoch oben unterm Stadiondach, sondern um solche auf der Haupttribüne, die sonst 200-600 €, beim Finale gar 1.000 € kosteten.
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Das Innenministerium begründet die Annahme der Gratistickets mit der Repräsentationsaufgabe der Politiker:innen. Eine solche ist grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Offenkundig ist aber auch, dass die UEFA für die (künftige) Durchführung von Großveranstaltungen ein Interesse an einer ihr wohlgesonnenen Politik hat, etwa auch künftig bei den in Deutschland in den kommenden Jahren stattfindenden Finalspielen der UEFA Conference League und UEFA Europa League. Bereits bei der Europameisterschaft gab es finanziell ein großes Entgegenkommen der Politik gegenüber der UEFA. Während für die EM-Städte hohe Kosten etwa beim Betrieb der vorgeschriebenen Fanmeilen anfielen und die deutschen Steuerzahler:innen auch die Sicherheitsmaßnahmen finanzieren mussten, ließ sich die UEFA im Vorhinein von der Politik weitreichende Steuererleichterungen zusichern. So soll es weitergehen.
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Als gut verdienende Person in politischer Entscheidungsposition auf Gratistickets der UEFA zuzugreifen, hat also durchaus ein „Geschmäckle“. Allein der Verstoß gegen Moralvorstellungen, der sich inzident hinter diesem Begriff verbirgt, vermag jedoch keine Strafbarkeit zu begründen. Vielmehr muss ein Verhalten schon den Tatbestand einer Strafnorm erfüllen. Wenn Strafrechts-Experten es ganz diplomatisch dabei belassen, dass die Annahme der Tickets „den Verdacht einer Untreue begründen kann“ und „ein korruptives Geschmäckle“ habe, mithin „der Verdacht der Korruption (…) nicht ganz fernliegend“ erscheine, schrillen beim LSH die Alarmglocken.
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Solche nebulösen Phrasen kennen wir vor allem aus den Klausuren besonders prüfeifriger Studierender sowie (pseudo-)wissenschaftlichen Podcasts, die krampfhaft Aufmerksamkeit für das Strafrecht (oder doch eher die eigene Person?) generieren wollen. Unser Interesse ist dennoch geweckt und wir verschlingen den Artikel geradezu. Am Ende bleibt kaum mehr als die Erkenntnis: „Nichts Genaues weiß man nicht.“ Wenn Zimmermann bezüglich der tatsächlichen Strafbarkeit auf den Einzelfall verweist, werden wir den Verdacht nicht los, das Strafrecht werde mal wieder nur zum Clickbaiting missbraucht. Während uns dies beim Medienunternehmen Ströer (zu dem t-online gehört) nicht wirklich wundert, sind wir bei einer Stellungnahme aus der Strafrechtswissenschaft doch ein wenig in Sorge.
Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, wollen wir uns den Vorwurf der Korruptionsstrafbarkeit genauer ansehen. Geregelt ist diese in den §§ 331 ff. StGB. Während §§ 331, 332 StGB die passive Seite der Bestechung, also das Fordern, Sichversprechenlassen oder Annehmen eines Vorteils durch einen Amtsträger, erfassen, ist die aktive Vorteilsgewährung spiegelbildlich hierzu in §§ 333, 334 StGB geregelt. § 331 StGB stellt nicht auf eine konkrete Diensthandlung, sondern auf die Dienstausübung ab, sodass auch das Erkaufen des generellen Wohlwollens bzw. eine „allgemeine Klimapflege“ potenziell relevant ist (BGH NJW 2004, 3569 [3571]).
Taugliche Täter für § 331 StGB sind insb. Amtsträger. Dies trifft zwar auf Bundeskanzler, -präsident und -minister:innen, nicht aber auf Bundestagsabgeordnete zu (MüKoStGB/Korte, 4. Aufl. 2022, § 331 Rn. 44, 54). Letztgenannte können sich allenfalls nach § 108e I StGB strafbar machen. Anders als bei § 331 StGB muss sich hier aber der Vorteil auf eine hinreichend bestimmte Verhaltensweise der Mandatsträgerin beziehen, was im Eintrittskartenfall nicht gegeben ist.
Die kostenlosen Tickets stellen eine Leistung dar, die die wirtschaftliche Lage der Politiker:innen verbessert, ohne dass hierauf ein Anspruch bestand. Ein Vorteil liegt daher vor. Keine Rolle spielt dabei, dass die Tickets den Politiker:innen die Wahrnehmung ihrer dienstlichen Aufgaben ermöglichen sollten (BGH NJW 2008, 3580 Rn. 20 f.). Durch den Zugriff auf die Karten liegt auch eine Annahme des Vorteils i.S.d. § 331 I Var. 3 StGB vor.
Zwischen Dienstausübung und Vorteilszuwendung muss allerdings eine inhaltliche Verknüpfung bestehen (Fischer StGB, 71. Aufl. 2024, § 331 Rn. 21 ff.). Abzugrenzen sind (strafbare) tätigkeitsbezogene von (straflosen) statusbezogenen Zuwendungen (Trüg NJW 2009, 196 [197]). Wegen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots ist der Tatbestand eng auszulegen (Staschik SpuRt 2017, 187 [189]).
Über das Vorliegen der Unrechtsvereinbarung kann nach dem BGH nur im Rahmen einer Gesamtschau unter Rückgriff auf Indizien entschieden werden. Hierbei spielen insb. die konkrete Stellung des oder der Eingeladenen, die Vorgehensweise im Zusammenhang mit der Zuwendung, die Art, der Wert und die Gesamtzahl der zugewandten Vorteile sowie die Plausibilität einer anderen Zielsetzung eine Rolle (BGH NJW 2008, 3580 Rn. 32).
Vorliegend ging es um ein besonderes Großereignis, das in Deutschland stattfand. Gegenstand der Zuwendung waren „nur“ die Tickets. Der Fußball nimmt in Deutschland eine Sonderstellung ein, aufgrund derer die Fußball-EM eine enorme mediale Begleitung erfahren hat. Die Tickets wurden den Amtsträger:innen von der UEFA als Ausrichterin des Events über einen zentralen Topf zur Verfügung gestellt. Dies geschah auf hinreichend transparente Weise.
Bundespräsident, Bundeskanzler und die Ministerpräsident:innen der Länder nehmen eine umfassende Repräsentationsfunktion wahr. Die Zuwendung an sie erfolgte insoweit statusbezogen. Da es sich bei der Fußball-EM um ein internationales Sportevent handelte, ist ferner bzgl. der Außen- und der u.a. für den Sport zuständigen Innenministerin festzustellen, dass die Zuwendung nicht „für die“, sondern „zur“ Dienstausübung erfolgte.
Zwar sind die Ressorts beispielsweise des Gesundheitsministers nicht im Kernbereich betroffen. Mit Blick auf die besondere Bedeutung des Events, das vergleichsweise transparente Vergabeverfahren und die erwähnte verfassungsrechtlich gebotene enge Auslegung ist im Ergebnis aber auch hier nicht von einer strafbarkeitsbegründenden Unrechtsvereinbarung auszugehen. Dass die Spielbesuche für die Politiker:innen auch einen gewissen Freizeitwert darstellten, ändert daran nichts.
Zimmermann ist also insofern zuzustimmen, dass der Verdacht der Korruption nicht ganz fernliegend ist, es aber einer Untersuchung im Einzelfall bedarf. Damit haben wir uns mal versucht und sind zu dem Ergebnis gelangt: Für eine Strafbarkeit gem. § 331 StGB reicht es nicht. Gereicht hat es jedoch für zahlreiche Aufrufe des Artikels durch den LSH. Der Köder „Strafrecht“ hat gewirkt. Und ein Geschmäckle bleibt, das geben wir gerne zu und gefällt uns ebenso wenig wie Till Zimmermann.
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