20.05.2025


Schade, dass es kein Ausländer war!

Magdeburg, München, Mannheim: Drei Taten erschütterten in den letzten Monaten die bundesdeutsche Öffentlichkeit und bestimmten über Wochen die mediale Berichterstattung sowie die politische Debatte. Die Vorfälle glichen sich zumindest auf den ersten Blick: Jeweils fuhr ein Autofahrer (aufs Gendern kann verzichtet werden, waren es doch stets männliche Tatverdächtige) mit seinem Auto bewusst in eine Menschenmenge, um auf diese Weise den Tod und die Verletzung zahlreicher Passant:innen hervorzurufen.

An dieser Stelle wollen wir jedoch weniger die Taten selbst als vielmehr deren Verarbeitung und Instrumentalisierung durch Politik und Medien in den Blick nehmen.

Exemplarisch soll zunächst der Post unseres Bundeskanzlers in spe, Friedrich Merz, auf X zur Tat in Mannheim betrachtet werden: „Der Vorfall – wie auch die schrecklichen Taten der vergangenen Monate – mahnt uns eindringlich: Wir müssen alles tun, um solche Taten zu verhindern. […] Deutschland muss wieder ein sicheres Land werden.“

Diese Aussage legt die folgenden Schlüsse nahe: Deutschland ist ein unsicheres Land und die (indirekt) angesprochenen Taten sind vergleichbar. Somit sind sie auch durch die gleichen Maßnahmen verhinderbar, wobei zur Verhinderung der Taten alle Maßnahmen legitim sind.

https://strafrecht-online.org/x-merz-mannheim

Wie Merz zur Annahme gelangt ist, Deutschland sei ein unsicheres Land, teilt er uns leider nicht mit. Sollte er sich auf den Anstieg der erfassten Fälle in der PKS zwischen 2021 und 2023 beziehen, erinnern wir gerne an den stetigen Rückgang in den Jahren zuvor und das Sinken der Fallzahlen im Jahr 2024 sowie den zeitgleich erfolgten Anstieg der Bevölkerungszahl. Läge der Aussage hingegen die mediale Berichterstattung zugrunde, möchten wir einmal mehr den politisch-publizistischen Verstärkerkreislauf in Erinnerung rufen und den CDU-Vorsitzenden darauf hinweisen, dass gerade auch Statements von ihm die Medienlandschaft beeinflussen.

https://strafrecht-online.org/nl-2014-05-16 [II.]

https://strafrecht-online.org/nl-2024-09-27 [IV.]

Wir wissen ferner nicht darum, wie Merz Sicherheit und Unsicherheit definiert, und verweisen darauf, dass etwa die Tötungsdelikte schon seit Jahrzehnten in Deutschland auch im internationalen Vergleich auf sehr niedrigem Niveau verharren.

Bedauerlicherweise ist die Aussage aber nicht nur falsch, sondern auch dazu geeignet, die (politische) Debatte nachhaltig negativ zu beeinträchtigen. Es ist kein Geheimnis, dass das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung nicht (allein) von Tatsachen, sondern primär von Gefühlen, subjektiven Wahrnehmungen und insbesondere sozialen Faktoren geprägt wird. Wenn nun Politiker:innen regelmäßig lieber über die scheinbar große Unsicherheit im Land sprechen statt sich um die soziale Frage zu kümmern, wundert es nicht, dass mehr und mehr Bürger:innen davon berichten, sich unsicher zu fühlen.

https://strafrecht-online.org/zdf-sicherheitslage

https://strafrecht-online.org/nl-2020-06-26 [II.]

Wenig besser ist die Formulierung: „Wir müssen alles tun, um solche Taten zu verhindern.“ Sie suggeriert, „solche Taten“ seien verhinderbar, wobei zur Verhinderung jede Maßnahme recht sei. Dabei übersieht (der Jurist) Friedrich Merz leider, dass elementare Voraussetzung jeglichen (recht-)staatlichen Handelns dessen Verhältnismäßigkeit ist. Kernbestandteil einer jeden Verhältnismäßigkeitsprüfung ist eine Folgenabwägung. Bei dieser gilt stets: Mag das zu erreichende Ziel noch so gewichtig sein, eine Absolutheit, wie sie Merz‘ Aussage nahelegt, kann es nie geben.

Darüber hinaus stellen wir uns die Frage, welche Maßnahmen Merz denn im Kopf herumschwirren, um „solche Taten“ zukünftig zu verhindern: Die Einführung autofreier Innenstädte? Ein offenerer Umgang mit psychischen Krankheiten? Eine verstärkte gesellschaftliche Beschäftigung mit toxischer Männlichkeit und deren Folgen? All dies wären Maßnahmen, die grünes Licht vom LSH erhielten – schade, dass uns keiner fragt.

Der (zeitliche) Kontext, in dem der Post abgesetzt wurde, legt jedoch vielmehr den Schluss nahe, dass hier auf rhetorisch geschönte Weise erneut die altbekannte Parole „Ausländer raus!“ ins Netz hinausposaunt werden sollte.

Fast bedauerlich für Fritze Merz und Konsorten: Der Tatverdächtige aus Mannheim war gar kein Ausländer. Und anders, als es insbesondere AfD-nahe Accounts kurz nach der Tat im Netz behaupteten, handelte es sich nicht einmal um einen Mitbürger mit Migrationshintergrund, sondern um den „biodeutschen“ Alexander S. aus Ludwigshafen mit Verbindungen ins rechtsextreme Milieu und wohl einer psychischen Vorerkrankung. Da hätten selbst Kontrollen an den deutschen Außengrenzen nichts gebracht, um die konkrete Tat zu verhindern.

https://strafrecht-online.org/tagesspiegel-mannheim

https://exif-recherche.org/?p=12670

Doch nicht nur konservative Politiker:innen fielen mit ihrer Reaktion auf die Amokfahrt von Mannheim negativ auf, dieses Schicksal ereilte auch weite Teile der deutschen Medienlandschaft. Schon wenige Minuten nach dem Vorfall waren im Internet zahlreiche Schlagzeilen und minutiöse Liveticker zu finden. Nachdem jedoch bekannt wurde, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Deutschen handelte, ging das mediale Interesse an dem Vorfall rapide zurück.

Eine quantitative Untersuchung von Buzzfeed News Deutschland und der Ippen-Medien-Gruppe zeigt, dass in den vier Tagen nach den Vorfällen über die Geschehnisse in Magdeburg und München (die jeweils von einem Ausländer begangen worden sind) in den deutschen Leitmedien etwa doppelt so viele Beiträge erschienen sind wie nach der Tat in Mannheim. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Untersuchung von deutschen Online-Texten mit der Plattform NewsWhip.

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Dass der deutsche Tatverdächtige von Mannheim durch einen pakistanischen Taxifahrer verfolgt und gestoppt wurde, fand medial wenig Beachtung. Passt aber auch einfach schlecht in den aktuellen Zeitgeist, der geprägt ist von einem neuen Nationalismus und heftig geführten Debatten über Möglichkeiten der Migrationsbegrenzung. Das Bild des kriminellen Ausländers klickt sich einfach besser als das eines psychisch kranken Deutschen mit Verbindungen ins rechtsextreme Milieu. „Schade, dass es kein Ausländer war!“ wird daher wohl mehr als einmal in den Redaktionssitzungen von Axel Springer und Co. zu hören gewesen sein.

https://strafrecht-online.org/stern-auslaender


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