20.06.2025


Kausalität & Korrelation: Die Schande der Bezahlkarte II

Kriminologie und Politik setzen in gleicher Weise gerne auf Daten. Im Falle der Kriminologie sind sie Ausgangspunkt für theoretische Überlegungen bzw. unter Umständen kritischer Gradmesser für angestoßene oder festgestellte Veränderungen. Die Politik wiederum verleiht sich hierüber den Adelstitel, evidenzbasiert statt aktionistisch zu agieren. Doch während sich die kriminologische Forschung häufig bei der Interpretation von Daten zurückhaltend und zögerlich gibt, hat die Politik hierfür nun wirklich keine Zeit und möchte nicht das vermeintliche Pfund der evidenzbasierten Vorgehensweise gleich wieder zerfleddern. Und so werden aus den Daten ebenso beliebige wie abenteuerliche Schnellschlüsse gezogen, die nur bei einem in gleicher Weise hektisch Lesenden auf Zustimmung stoßen können.

Jüngstes Beispiel: Die Schande der Bezahlkarte, über die wir bereits unser Urteil fällten und Umgehungshandlungen als Ausdruck zivilen Ungehorsams guthießen.

https://strafrecht-online.org/news-bezahlkarte

Nun lesen wir die folgende scheinbare Erfolgsmeldung: Seit der flächendeckenden Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerbende in Bayern ist die Zahl der freiwilligen Ausreisen massiv angestiegen. Die Zahl habe sich im Zeitraum Juli 2024 bis Dezember 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um knapp 30 Prozent erhöht, teilte eine Sprecherin des Innenministeriums auf Anfrage mit. In absoluten Zahlen bedeute dies ein Anstieg von 5.984 (Juli bis Dezember 2023) auf 7.778 Ausreisen (Juli bis Dezember 2024).

https://sz.de/li.3253726

Funktioniert also, werden CSU und Staatsregierung sagen. Wenn die Möglichkeit wegfalle, das den Asylbewerbenden in Deutschland ausgehändigte Geld ins Ausland zu transferieren, entweder zur Unterstützung von Familien in der Heimat oder gar zur Bezahlung von illegalen Menschenhändlern, könne man entweder gleich zu Hause bleiben oder eben wieder ausreisen.

Vielleicht gibt es aber auch ganz andere Gründe für den Anstieg der Ausreisen, vielleicht hat es eine derartige behauptete Motivlage schon seit jeher allenfalls für eine marginale Minderheit von Asylsuchenden gegeben. Klingt ein wenig anstrengend, so funktioniert eben Wissenschaft.

Zufall oder Kalkül: Über den Kampf um die Deutungshoheit der steigenden Ausreisezahlen gerät vollkommen aus dem Blick, was vom Instrument der Bezahlkarte als solcher zu halten ist. Wir dürfen noch einmal aus unserem ersten Beitrag zitieren: „Das Misstrauen gegen die Machtlosen mit einem traurigen Schicksal ist nicht nur schäbig, sondern hat auch einen hohen Preis. Die Bezahlkarte geht mit demütigenden Erfahrungen einher, sie schränkt unzumutbar ein und verwehrt den Bedürftigen günstigere oder pragmatischere Lösungen in einer schweren Lebensphase.“

Hätte man sich diese Einschätzung in der Überlegungsphase zu Herzen genommen, hätte man sich ganz auf die Frage konzentrieren können, wie eine menschenwürdige Ausgestaltung des Asylgrundrechts aussehen könnte. Merz & Dobrindt haben derzeit ganz anderes im Sinn.

https://sz.de/li.3221829


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