Der Artikel
Was wäre, wenn …
Was wäre wohl passiert, wenn Giulia Gwinn beim Halbfinale gegen Spanien mit geschientem Knie als Zeichen der Solidarität und des Team Spirits aufgelaufen wäre? Ein Aufschrei wäre durch Fußball-Deutschland gegangen. So eine Aufstellung habe nichts mit der bestmöglichen Mannschaft zu tun. Und als Beweis hätten sie eben verloren, wie allerdings auch ohne sie.
Was würden wir sagen, wenn eine Juristische Fakultät eine ambitionierte, testgestützte, Bestenauslese vornähme und zugleich nur eine sehr kleine Zahl an Bewerber:innen zulassen würde? Nun ja, ist es nicht so bereits an der Bucerius Law School und beweist diese nicht über Rankings und Examensnoten eindrücklich, dass es funktioniert?
Wie würden wir schließlich ein von Bundesbildungsministerin Prien ins Spiel gebrachtes „denkbares Modell“ bewerten, an Schulen eine Quote für Kinder mit Migrationshintergrund einzuführen?
Lassen wir einmal den vom Leistungsprinzip dominierten (sportlichen) Wettbewerb ebenso außen vor wie die Privatuniversitäten, die trotz aller Stipendienmodelle elitär bleiben, die sich aufgrund ihrer Ressourcen vielleicht Formate leisten können, die staatliche Universitäten vor Neid erblassen lassen, und die vielleicht deshalb so gut abschneiden, weil die hier Studierenden in einem gut situierten und inspirierenden Umfeld aufgewachsen sind und ironischerweise sogar die Schule beim Durchstarten mithalf.
Und kümmern wir uns um den aus dem Grundgesetz abzuleitenden staatlichen Bildungsauftrag bzw. die Umsetzung an den Schulen.
Drei Argumentationsstränge lassen sich unterscheiden: Die praktische, die didaktische und die ethisch-grundrechtliche.
Wer nun umgesiedelt werden soll und wie man das vollziehen möchte, bleibt dunkel und menschenunwürdig. Möchte man gleich ganze Familien adressieren, in denen ohnehin nur wenige über eine regelmäßige Arbeit verfügen, oder Kinder mit ausländisch klingenden Namen mit Bussen an das andere Ende der Stadt karren? Oder soll die Quote dadurch gewahrt werden, dass ganz im Sinne der AfD „Ausländerklassen“ generiert werden? Der Verweis auf Vorbilder wie das Busing in den USA oder das schulpädagogische Musterland Dänemark bleibt inhaltsleer und verschweigt Probleme und Einstellungen, die wir nicht einfach nach Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes transportieren wollen.
https://strafrecht-online.org/sz-schule-migration [Probeabo 1 €]
Picken wir uns aus dieser praktischen Perspektive inhaltliche Aspekte heraus, wird einmal mehr deutlich, dass die soziale Frage als Ausgangspunkt erfüllender Schule in den Vordergrund zu rücken ist und schematische Unterscheidungen nach dem wie auch immer zu definierenden Migrationshintergrund keine Hilfe bieten. Erschweren Sprachbarrieren den integrativen Unterricht, sind diese durch zusätzliche Förderung abzubauen.
Schon seit Jahrzehnten hat man das Problem fehlender sozialer Durchmischung an Schulen erkannt. Und man hat festgestellt, dass eine solche Durchmischung den so bezeichneten Bildungsarmen hilft, ohne das Niveau zu senken.
https://strafrecht-online.org/ts-schule-durchmischung
Auch hier spielte das erwähnte praktische Scheinargument übrigens eine große Rolle. Sollten Schüler:innen aus Zehlendorf nun nach Wedding transportiert werden, um ein Beispiel aus Berlin zu nehmen?
Warum das Niveau nicht gesenkt wird, ist vergleichsweise einfach zu begründen und betrifft den Kern der Frage: Wie kann ein erfüllender Unterricht gestaltet werden? Und gerade insoweit sind Vorbilder aus Skandinavien durchaus aufschlussreich, die fluide Klassenstrukturen mit wechselnden Rollen und Freiräumen der Schüler:innen in den Vordergrund rücken und sich vom Notenfetischismus (vgl. hierzu auch den Beitrag unter IV.) verabschiedet haben. In solchen Strukturen können bildungsferne Schüler:innen wie natürlich erst recht solche mit Migrationshintergrund nicht nur gefördert werden, sondern regelrecht aufblühen. Ist eben mal wieder etwas komplizierter als auf dem Reißbrett ermittelte Quoten. Macht aber für alle engagierten Beteiligten auch mehr Spaß.
Würde diese inhaltliche Ebene angegangen werden, würde sich die hier so bezeichnete ethisch-grundrechtliche Problematik nicht mehr stellen. Eine Kanalisierung über Migrationsquoten wäre ein diskriminierender Eingriff in die Freiheitsrechte der Kinder, die aufgrund ihrer Herkunft und vielleicht nur ihres Namens als Problem ausgemacht würden, das es gleichmäßig zu verteilen gelte. Haben wir nicht schon von der Gewässerökologie gelernt, dass es schleunigst alle starren Kanalisierungen im Sinne der Gesellschaft rückzubauen gilt?
Ein solches Gegenmodell würde die jungen Menschen mit Migrationshintergrund als einen Gewinn für unsere Gesellschaft willkommen heißen. Und nein: Es geht hier um die menschliche, nicht um die ein weiteres Mal schäbige Perspektive künftiger Arbeitsressourcen.
https://strafrecht-online.org/ard-schule-migration
https://strafrecht-online.org/ts-schule-migration [kostenloses Probeabo]
Fragen und Anmerkungen: