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Anregungen zur Beratung über einen Entwurf einer Strategie
Die Stadt Freiburg nimmt sich der wachsenden Not obdachloser Menschen an, zumindest behauptet sie das schon sehr lange. Folgerichtig hat der Gemeinderat jüngst „die Beratung über einen Entwurf einer Strategie angeregt“, wie in einem kürzlich veröffentlichten Grundsatzpapier zu lesen ist.
https://strafrecht-online.org/fr-grundsatz
Das klingt alles verdächtig vage. Wir wollen ein wenig nachbohren und fragen, wie es um den Umgang mit Obdachlosigkeit in Deutschland und insbesondere in Freiburg bestellt ist.
So leben in der Bundesrepublik etwa 37.400 Menschen auf der Straße, sind also obdachlos. Dass die meisten Menschen nicht freiwillig in eine solche Situation geraten oder in dieser verbleiben möchten, bedarf keiner näheren Ausführungen.
https://strafrecht-online.org/bmas-obdachlos
Sicher wird sich das Problem auch nicht von selbst erledigen, zumal im Angesicht der aktuellen Inflation. Erforderlich sind neue sozialstaatliche Ideen. Geht es um solche, lohnt mitunter ein Blick nach Skandinavien, in diesem Fall nach Finnland. Dort hat man sich des Konzepts Housing First bedient und damit die Obdachlosigkeit weitgehend überwunden. Die Idee ist im Ausgangspunkt ebenso simpel wie zielführend. Sie beruht auf der Erkenntnis, dass der wichtigste Schritt auf dem Weg der Reintegration derjenige ist, eine Wohnung zu finden. Wer keine Wohnung hat, findet keine Arbeit. Wer keine Arbeit hat, findet keine Wohnung. Ein Teufelskreis, dem zu entrinnen ohne fremde Hilfe kaum möglich ist. Die Hilfe setzt also genau hier an: Den Betroffenen wird unmittelbar und niedrigschwellig langfristiger Wohnraum bereitgestellt und für Hilfe im Alltag gesorgt. Hiermit sind natürlich keine Notunterkünfte wie die Freiburger „Oase“ gemeint.
https://strafrecht-online.org/geo-housingfirst
Das Konzept Housing First ist der Stadt Freiburg bekannt: Auf Seite 11 des zitierten Grundsatzpapiers werden das Konzept und die empirisch nachgewiesenen Vorteile genannt. Unsere damit einhergehende Hoffnung wird aber schnell enttäuscht, wenn man eine Seite später meint, die Studienergebnisse könnten nicht einfach übertragen werden. Menschen müssten in Deutschland nicht auf der Straße schlafen, selbst suchtkranke Personen und solche mit psychischen Auffälligkeiten könnten vorhandene Unterkünfte nutzen. Es bestehe „ein tolerierender, lebensweltorientierter und nicht auf Abstinenz und Sanktion ausgerichteter Ansatz.“
Dass etwa die städtische „Oase“ bereits im vergangenen Sommer völlig überfüllt war, hat man ebenso vergessen zu erwähnen wie die mitunter desolaten Zustände in solchen Unterkünften, die infolge von Gewalt und Diebstählen derart unattraktiv sind, dass es Menschen selbst im Winter häufig vorziehen, auf der Straße zu schlafen.
https://strafrecht-online.org/bz-oase [kostenlose Registrierung]
Die Stadt weist darauf hin, aufgrund des knappen Wohnraums und des fehlenden Personals sei es nicht möglich, in absehbarer Zeit auf Notunterkünfte zugunsten richtigen Wohnraums zu verzichten. Eine mögliche Lösung könnte unseres Erachtens darin liegen, den häufig anzutreffenden Leerstand von Wohnungen anzugehen. Gemeint sind Wohnungen, die etwa als Zweitwohnung angemeldet sind, faktisch aber nicht oder kaum benutzt werden.
Um dieses Problem anzugehen, existiert in Freiburg seit 2014 eine Zweckentfremdungssatzung. Nach dieser können Eigentümer:innen mit einem Bußgeld von bis zu 100.000 € sanktioniert werden, wenn sie ihren Wohnraum nicht oder anderweitig als zu Wohnzwecken nutzen und ihnen diese Zweckentfremdung nicht gestattet wurde. Bußgelder wurden in Freiburg bislang allerdings erst in zwei Fällen verhängt. Ein zweckwidriger Leerstand sei nur schwer nachzuweisen. Man sei auf Hinweise anderer Bürger:innen angewiesen, und auch dann seien die Eigentümer:innen samt Meldeadressen meist ebenso wenig zu ermitteln wie die Ursachen des Leerstandes. Mit anderen Worten: Die Prioritäten liegen woanders.
https://strafrecht-online.org/kontext-leerstand
Auch könnten die vorhandenen Unterkünfte nicht in Wohnungen umgebaut werden. Bauplanungsrechtliche Vorgaben stünden entgegen, an den entsprechenden Stellen seien nur „soziale Einrichtungen“ zulässig, nicht aber ein Wohnen zur Miete. Dass man als Stadt auch zuständig ist, Bebauungspläne zu ändern (§ 2 I BauGB), und diese daher anpassen könnte, verschweigt man hierbei. Im Übrigen sei ein Umbau „wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen“ und komme ohnehin nur für so bezeichnete „mietfähige“ Personen in Betracht, nicht aber für Menschen mit Multiproblemlagen, die Unterstützung benötigten, für die wiederum das Personal fehle. Außerdem bestehe die Gefahr einer Ghettoisierung und Stigmatisierung. Letztere ist also bei Mietwohnungen größer als bei Notunterkünften?
Warum kommt uns beim oben angesprochenen „tolerierenden, nicht auf Sanktion ausgerichteten Ansatz“ wohl die „Polizeiverordnung zur Sicherung der öffentlichen Ordnung und gegen umweltschädliches Verhalten“ in den Sinn? Sie untersagt in § 12 I das Nächtigen auf öffentlichen Straßen und stellt dies rechtlich mit der grob ungehörigen Belästigung anderer oder – noch perfider – dem „Lagern von Abfällen“ gleich. Das Nächtigen im öffentlichen Raum, mithin obdachlos zu sein, ist also verboten und wird mit einem Bußgeld bewehrt.
Was eigentlich dahintersteckt? Als störend empfundene Mitmenschen sollen aus der Innenstadt ferngehalten werden, die jährlich von einer knappen Million Tourist:innen besucht wird. Man zwingt die Menschen, Notunterkünfte aufzusuchen, und beraubt sie der Entscheidung, auf der Straße zu schlafen, auch um die mitunter desolaten Zustände in den Unterkünften zu vermeiden. Wohnungen gibt es ja keine. Von einem menschenwürdigen Umgang mit den „Mietunfähigen“ ist das alles weit entfernt.
https://strafrecht-online.org/nl-2019-11-22 [II.]
Und apropos Menschenwürde: Über eine verbrämend so bezeichnete „defensive Architektur“ wird den Betroffenen das Leben weiter erschwert. Bänke etwa werden so gebaut, dass sie zum Schlafen nicht geeignet sind. Menschen, die häufig nicht viel mehr haben als eben ihre Würde, werden ganz offensichtlich als störende Objekte empfunden, die es von Postkartenmotiven fernzuhalten gilt.
Es muss sich etwas ändern. Das Konzept Housing First immerhin ernst zu nehmen, wäre ein Anfang. Doch auch aufseiten des Bundes machen wir uns wenig Hoffnungen. Wenn die Ampelregierung auf S. 99 ihres Koalitionsvertrags „wohnungslose junge Menschen […] u.a. mit Housing First Konzepten fördern“ möchte, zeugt diese Beschränkung auf „junge Menschen“ bereits von einer Kapitulation vor dem Problem. Schade. Vor allem für die Betroffenen.
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