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Mission Böhmermann
Jan Böhmermann hat eine Mission: Das Volk über die Wahrheit belehren und zugleich witzig sein. Das passt bereits vom Ansatz nicht und Jan Böhmermann beweist es Episode für Episode. Bei der Auswahl seiner Themen geht er kein Risiko ein und verfeinert bereits bekannte Skandale mit einem Potpourri aus Videoschnipseln und Zitaten. Wer über Rassismus und Antisemitismus in der Polizei, das politische Netzwerk des ehemaligen österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz, das neue Moria, Facebook oder Dubai nicht so recht Bescheid wusste, könnte fast ein wenig beeindruckt sein.
Jan Böhmermann schlägt sich dabei immer auf die richtige Seite. Sie liegt knapp jenseits des seiner intellektuell nicht würdigen Mainstreams, hat aber noch immer eine hinreichend breite Fanbasis, die sich vielleicht wie er als linksliberal bezeichnen würde. Das neue Corona-Narrativ, wonach die Kinder aus kapitalistischen Motiven heraus in die Omikron-verseuchten Schulen getrieben würden, damit die Eltern währenddessen die Wirtschaft am Leben erhalten könnten, ist ganz nach seinem Geschmack.
Katharina Riehl bezeichnet in ihrem SZ-Kommentar die These vom Präsenzunterricht als Erfüllungsgehilfen einer kapitalistischen Gesellschaft als einen bemerkenswerten Blick auf die Welt. Auch wir haben in den vergangenen Monaten die (Hoch-)Schulpolitik immer wieder kritisch begleitet. Der Kapitalismus spielte hier durchaus eine Rolle, aber eher im Kontext der sich weiter vertiefenden Kluft zwischen ökonomisch und sozial Privilegierten und den in der Corona-Pandemie in jeder Hinsicht Leidenden.
Jetzt also sollen die in diesem Kontext raren sozialen Errungenschaften einer Schulpflicht und dem Beharren auf einem Präsenzunterricht plötzlich nicht mehr als ein ökonomischer Kostenfaktor sein. Aber während die quälend lange Zeit des Homeschooling die jungen Menschen tatsächlich zu Opfern machte, sind sie es in diesem Fall glücklicherweise einmal nicht. Auf der Suche nach latent kapitalismuskritischen Themen, die seine Episoden durchziehen (Menschenrechtsverletzungen im VW-Konzern, Wirecard, Profiteure von Hartz IV), hat Böhmermann die in Deutschland bislang allenfalls in Rudimenten vorhandenen Bemühungen verraten, Schulen und Universitäten auch für die unteren Schichten gewinnbringend zu gestalten oder auch nur zu öffnen.
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