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Unbeugsames Fanprojekt – unbeugsamer Gesetzgeber?
Die Inhaftierung von Menschen kann neben der wohl bekanntesten Ausprägung in Gestalt einer Freiheitsstrafe auch noch in anderen Konstellationen angeordnet werden. So wurde etwa in den letzten Monaten verstärkt über die Anordnung polizeilichen Präventivgewahrsams gegen Aktivist:innen der Letzten Generation in Bayern diskutiert und die Vorgehensweise der Behörden insoweit zu Recht als unverhältnismäßig kritisiert.
https://strafrecht-online.org/sz-praeventivhaft-iaa
Ein weiterer Anwendungsbereich der Inhaftierung als sog. „Beugehaft“ wurde nun in Baden-Württemberg in Bezug auf Mitarbeitende des Karlsruher Fanprojektes relevant.
Mit dem in § 70 StPO verankerten Instrument der Beugehaft kann die Justiz Druck auf aussageunwillige Zeug:innen von Straftaten ausüben und diese nach vorheriger Festsetzung eines Ordnungsgeldes bis zu sechs Monate inhaftieren, um sie zu einer Aussage zu bewegen.
Doch der Reihe nach: Im Rahmen einer Choreographie einer Fangruppierung des Karlsruher SC anlässlich ihres Geburtstages im November letzten Jahres wurden im Stadion einige pyrotechnische Gegenstände gezündet. Da der Rauch nicht gut unter dem Dach der neuen Tribüne abzog, mussten mehrere Fans nach Einatmen des Rauches medizinisch behandelt werden, was die Karlsruher Staatsanwaltschaft auf den Plan rief. Sie leitete Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung ein.
Im Nachgang des Spiels entschuldigte sich die beteiligte Fangruppierung öffentlich. Unter Vermittlung des Karlsruher Fanprojektes kam es zu einem „Wiedergutmachungsgespräch“ zwischen den Verletzten und den Verursachern. Da die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hingegen auch nach 25 durchgeführten Hausdurchsuchungen keine hinreichende Spur zu haben schien, lud sie die beteiligten Mitarbeitenden des Karlsruher Fanprojekts kurzerhand als Zeugen vor. Für diese kam eine Aussage hinsichtlich der beteiligten Fans jedoch nicht in Betracht, da das Vertrauensverhältnis zwischen Fanprojekt und Fanszene die Grundvoraussetzung für ihre sozialpädagogische Tätigkeit darstellt. Dass entsprechende Aussagen gegenüber der Polizei dieses Vertrauen zerstört hätten, liegt auf der Hand.
Fanprojekte sind Einrichtungen der aufsuchenden Jugendsozialarbeit, die anteilig von den jeweiligen Kommunen und Bundesländern sowie von DFB und DFL finanziert werden und mittlerweile an über 60 Fußball-Standorten in Deutschland bestehen. Nach ihrem Selbstverständnis besteht die Aufgabe der Fanprojekte in erster Linie darin, „jugendlichen Fußballfans und jungen Erwachsenen eine positive Lebensorientierung zu geben, Gewaltphänomenen und politischem Extremismus mit sozialpräventiven Maßnahmen entgegenzuwirken, problematisches Verhalten zu thematisieren und gemeinsam mit den Fans alternative Problemlösungsansätze zu entwickeln.“
https://strafrecht-online.org/aufgabe-fanprojekte
Als Reaktion auf die Verweigerung der Aussage wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein Ordnungsgeld gegen die Mitarbeitenden festgesetzt und die Beantragung von Beugehaft in Aussicht gestellt. Nach einer erneuten Anhörung gab die Staatsanwaltschaft Anfang Oktober bekannt, doch keine Beugehaft für die beteiligten Mitarbeitenden des Fanprojekts zu beantragen. Dabei dürfte sie auch der Gedanke geleitet haben, dass die Anordnung von Beugehaft dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen muss und dies vorliegend äußerst fraglich erschien. Die Staatsanwaltschaft behielt sich jedoch vor, eigenständige Strafverfahren wegen des Verdachts auf Strafvereitelung gegen die Mitarbeitenden des Fanprojekts einzuleiten.
Durch den Fall in Karlsruhe ist erneut ein grundsätzlicher Konflikt im Hinblick auf die Tätigkeit von Fanprojekten als Einrichtungen der Sozialen Arbeit und ihr Verhältnis zu Polizei und Strafverfolgungsorganen zutage getreten, der nachhaltig nur durch eine Gesetzesänderung zu lösen sein dürfte.
Anders als etwa Ärzt:innen, Psychotherapeut:innen und weiteren in § 53 Abs. 1 S. 1 StPO genannten Berufsgruppen steht Mitarbeitenden von Einrichtungen der Sozialen Arbeit ein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht nämlich bislang nur zu, wenn sie in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle für Schwangerschaftsabbrüche oder im Bereich der Betäubungsmittelabhängigkeit arbeiten (vgl. § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 a, b StPO). Hier wäre eine Ausweitung auf andere Einrichtungen und Tätigkeitsfelder, wie zum Beispiel den Bereich der aufsuchenden Jugendsozialarbeit, in dem die Fanprojekte agieren, sinnvoll, um den beschriebenen Konflikt zu lösen.
Eine solche Forderung ist auch keineswegs neu, zuletzt veröffentlichte etwa die „Koordinationsstelle Fanprojekte“ (KOS) Anfang 2020 ein entsprechendes Rechtsgutachten.
https://strafrecht-online.org/gutachten-kos
Das Gutachten setzt sich dabei insbesondere mit einem Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 1972 (BVerfGE NJW 1972, 2214) auseinander. In diesem wurde der Ausschluss von in der Sozialen Arbeit tätigen Personen (damals sog. „Fürsorgern“) aus dem Personenkreis des § 53 Abs. 1 StPO in seiner damaligen Fassung für verfassungsgemäß erklärt. Der Beschluss wird auch heute noch in den gängigen Kommentaren als Nachweis für eine hinzunehmende restriktive Auslegung des § 53 Abs. 1 StPO angeführt. Für diesen Beruf ging das BVerfG damals davon aus, dass mangels Verfestigung und Vereinheitlichung des Berufsbildes, mangels einer entsprechenden Ausbildung und mangels eines praktischen Bedürfnisses das Vertrauensverhältnis zwischen den sog. Fürsorger:innen und ihrer Klientel gegenüber der Wahrheitserforschung im Strafverfahren nachrangig sei und ein Zeugnisverweigerungsrecht allenfalls in speziellen Einzelfällen aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen erwachsen könne.
In den über fünf Jahrzehnten seit dem Beschluss des BVerfG haben sich freilich Berufsbild und -praxis der Sozialen Arbeit durch eine fortschreitende Professionalisierung von Ausbildung und Praxis sowie einen gesteigerten gesellschaftlichen Stellenwert grundlegend verändert, sodass die Ausführungen des BVerfG heute nicht mehr zur Begründung des Ausschlusses von Sozialarbeiter:innen aus dem Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten im Sinne des § 53 Abs. 1 StPO dienen können.
Das Gutachten kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass der durch die derzeitige Fassung des § 53 StPO vorgesehene Vertrauensschutz für die Vielfältigkeit der beratenden Felder der Sozialen Arbeit in teils zugespitzten Situationen nicht ausreiche und schlägt neben einer Neufassung der Norm auch alternative Lösungsmodelle etwa über trägerspezifische Antragsverfahren auf ein Zeugnisverweigerungsrecht im Einzelfall vor.
Mithin mangelt es im Hinblick auf eine Reform des Zeugnisverweigerungsrechts für die Soziale Arbeit weder an problematischen Fällen in der Praxis noch an Lösungsvorschlägen.
Wie der Karlsruher Fall eindrucksvoll zeigt, wäre es nun dringend an der Zeit, dass der Gesetzgeber diese aufgreift.
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