18.08.2025


Wald und Wirtschaft

Mit der „Regulation on Deforestation-free products“ (EUDR) formuliert die Europäische Union den Anspruch, ihren globalen Einfluss zur Eindämmung der Entwaldung zu nutzen. Das Ziel ist klar: Durch die Regulierung des Binnenmarkts soll das Inverkehrbringen und Bereitstellen von Produkten unterbunden werden, die mit der Zerstörung von Wäldern in Verbindung stehen. Doch der Weg von der Idee bis zur verbindlichen Verordnung offenbart eindrücklich die sich einstellenden strukturellen Verwerfungen, wenn einflussreiche Interessengruppen aus der Wirtschaft normative Prozesse beeinflussen.

Die der EUDR zugrunde liegende Idee stellt einen regulatorischen Fortschritt im Sinne der ökologischen Verantwortung dar: Unternehmen, die Palmöl, Kakao, Kaffee, Kautschuk, Soja, Rinder oder Holz sowie daraus hergestellte Erzeugnisse in der EU in Verkehr bringen wollen, müssen künftig nachweisen, dass diese nicht auf Flächen produziert wurden, die nach dem 31. Dezember 2020 entwaldet wurden. Dabei sollen etwa eine geolokalisierte Rückverfolgbarkeit aller für die Herstellung der Produkte verwendeten Grundstücke, die Durchführung einer Risikobewertung des Erzeugerlandes, Maßnahmen zur Minderung des Entwaldungsrisikos und Berichtspflichten die Einhaltung dieses Ziels ermöglichen.

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Doch bereits im Verlauf der Trilog-Verhandlungen, den informellen Treffen zwischen Vertreter:innen der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments sowie des Rates der Europäischen Union zur Einigung über einen Gesetzesvorschlag, zeigte sich, wie anfällig derartige Gesetzesinitiativen für den Einfluss durch Interessenvertretungen sind. Zahlreiche Akteur:innen aus Agrarindustrie, Rohstoffhandel und Teilen der Forstwirtschaft mobilisierten frühzeitig gegen die beabsichtigte Regelung. Unter dem Deckmantel vermeintlicher Verhältnismäßigkeit wurden Narrative von drohendem Bürokratieaufwand, Wettbewerbsverzerrung und Existenzgefährdung kleiner Betriebe geschaffen.

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Derartige Einflussnahmen hatten signifikante Auswirkungen auf zentrale Elemente der Verordnung. So wurde die Frist zur verbindlichen Umsetzung der Verordnung um ein Jahr von Ende 2024 auf den 30.12.2025 für große und mittlere Unternehmen, für kleine(re) Unternehmen gar auf den 30.06.2026 verschoben. Einige Monate später wurde das sog. Länder-Benchmarking veröffentlicht, das alle Länder in drei Risikokategorien einteilt. Diese zeigen, ob in einem Land ein niedriges, normales oder hohes Risiko besteht, und bestimmen den Umfang der einzuhaltenden Sorgfaltspflichten. Bemerkenswert ist dabei, dass die Kategorie der als Hochrisiko eingestuften Länder äußerst selten gewählt wurde und etwa Staaten wie Brasilien und Kanada, die nachweislich für einen erheblichen Waldverlust verantwortlich sind, nur einem Standardrisiko unterliegen sollen.

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Selbst nach Inkrafttreten des Benchmarkings kehrt keine Ruhe ein: Diverse Mitgliedstaaten – darunter auch Deutschland – drängen seit Monaten auf die Einführung einer Null-Risiko-Kategorie. Diese würde es ermöglichen, ganze Länder pauschal von nahezu sämtlichen Sorgfaltspflichten auszunehmen. Kritiker:innen warnen, dass eine solche Regelung nicht nur zentrale Prinzipien der EUDR aushebeln, sondern die Wirksamkeit der Verordnung insgesamt massiv untergraben würde.

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Dass politischer Druck und wirtschaftlich motivierte Einflussnahmen zentrale regulatorische Vorhaben verwässern, zeigt sich indes nicht nur bei der EUDR. Auch die „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ (CSDDD) wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erheblich abgeschwächt und ist auch jetzt noch erheblicher Kritik ausgesetzt: Ursprünglich vorgesehene zivilrechtliche Haftungsregelungen wurden zwar formal beibehalten, aber stark eingegrenzt, insbesondere durch umfangreiche Ausnahmetatbestände. Der Anwendungsbereich der Richtlinie wurde auf Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten und 450 Millionen Euro Umsatz begrenzt, wodurch nur ein Bruchteil der europäischen Unternehmen erfasst wird. Die ursprünglich geplante Einbeziehung des Finanzsektors wurde zudem auf die reine Risikovermeidung innerhalb des eigenen Geschäftsbereichs limitiert, wodurch ein zentraler Hebel zur menschenrechtlichen Lenkung von Investitionen weitgehend wirkungslos bleibt.

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Diese Entwicklungen stehen exemplarisch für eine systemische Dysbalance in der Gesetzgebung: Während finanzstarke Wirtschaftslobbyisten über erhebliche Möglichkeiten der Einflussnahme verfügen, bleiben zivilgesellschaftliche Perspektiven strukturell marginalisiert.

Die grundsätzliche Legitimität politischer Interessenvertretung steht außer Frage. Doch dort, wo Lobbyismus asymmetrisch verläuft, intransparent bleibt und in entscheidenden Momenten Regulierungsansätze in ihrem Wirkungsanspruch aushöhlt, wird der demokratische Gesetzgebungsprozess unterminiert. EUDR und CSDDD stehen somit nicht nur exemplarisch für den Versuch, globale Lieferketten ökologisch zu regulieren. Sie illustrieren zugleich die Fragilität politischer Ambitionen.

Der Fall der EUDR zeigt: Selbst angemessene, rechtlich durchsetzbare Regelwerke können an Wirkkraft verlieren, wenn politische Entscheidungs­findung nicht gegenüber einseitiger Einflussnahme abgesichert wird. Die strukturelle Schieflage im Lobbyismus bedarf dringend Korrekturen, sei es durch Transparenzpflichten in Bezug auf das gesamte Gesetzgebungsverfahren, insbesondere hinsichtlich der Trilog-Verfahren, oder institutionelle Mechanismen zur Sicherung regulatorischer Unabhängigkeit. Bereits eingeführte Maßnahmen, etwa das Transparenzregister, reichen nicht aus, um dem tatsächlichen Ausmaß der Einflussnahme gerecht zu werden – zumal Lobbyismus vielfach in informellen Kontexten stattfindet: in nicht protokollierten Hintergrundgesprächen, in Telefonaten oder auch ganz beiläufig in den Mittagspausen von parlamentarischen Verhandlungen.

Für die EUDR bedeutet das: Angesichts der seit 1990 weltweit verlorenen etwa 420 Millionen Hektar Tropenwald, was nahezu der gesamten Fläche der EU entspricht, darf die Antwort auf politische und wirtschaftliche Widerstände nicht darin bestehen, die Messlatte zu senken. Statt die Anforderungen zu verwässern, braucht es eine gerechte und wirksame Umsetzung.


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