Vortragsreihe TACHELES

Diskussionsveranstaltung „Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte“

Referent

Dieter Glietsch, Polizeipräsident in Berlin a.D.

Rüdiger Seidenspinner, Polizeihauptkommissar, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Baden-Württemberg

Armin Bohnert, Polizist und im Vorstand von Polizeigrün e.V.

Modeartion: Malte Marwedel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Freiburg

Veranstaltungsbeschreibung

3. November 2014, 18 Uhr, Kollegiengebäude I – Raum 1199

Am 3. November wurde über das Für und Wider einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte vor ca. 110 Interessierten diskutiert. Als Diskutanten waren erschienen Dieter Glietsch, Polizeipräsident in Berlin a.D., anstelle des kurzfristig verhinderten Parlamentarischen Geschäftsführers der Grünen in Baden Württemberg, Uli Sckerl, kam Armin Bohnert, selbst Polizist und im Vorstand von Polizeigrün e.V., schließlich Rüdiger Seidenspinner, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Baden Württemberg. Die Moderation führte Malte Marwedel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Freiburg, der im Rahmen seiner Tätigkeit für das neu ins Leben gerufene „Ministerium für gute Taten“ bereits an der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs zu diesem Thema beteiligt war.

Auch wenn die Besetzung der Bank bis auf den Moderator ausschließlich mit Polizisten anderes vermuten ließ, hätten die Positionen in manchen Teilen kaum unterschiedlicher ausfallen können: Dieter Glietsch, der 2010 die Kennzeichnungspflicht bei Großeinsätzen in Berlin per Geschäftsanweisung durchgesetzt hatte, hielt diese in einem freiheitlichen Rechtsstaat für alternativlos. Es gebe keinen nachvollziehbaren Grund, dass die Polizei als einzige und letzte eingreifende Institution zu anonymem Eingriffshandeln befugt sei. Es sei in einem Rechtsstaat zwingend, dass der Einzelne für seine Fehler auch zur Rechenschaft gezogen werden könne. Dies sei ohne die individuelle Kennzeichnungspflicht, so eine von ihm in Auftrag gegebene Studie, nur sehr begrenzt möglich, die Ermittlungen würden jedenfalls wesentlich erschwert.

Auch Armin Bohnert erachtete die Kennzeichnungspflicht für geschlossene Einheiten bei Großeinsätzen für eine Selbstverständlichkeit bei einer bürgernahen Polizei, wobei er Ausnahmen in sensiblen Bereichen (insbesondere in dem an diesem Abend oftmals bemühten Rocker- und Rotlichtmilieu) in Erwägung zog. Anders Rüdiger Seidenspinner: Ganz auf Linie, wie es sich für einen echten Interessenvertreter der Polizei gehört, lehnte er eine Kennzeichnungspflicht (zunächst) rundweg ab. Eine Identifizierung sei schon heute polizeiintern in aller Regel möglich, eine weitere Kennzeichnungspflicht berge in o.g. Milieus übermäßige Gefahren. Überhaupt sei es angezeigt, das Augenmerk verstärkt auf Polizisten als Opfer von Gewalt zu lenken (eine Sorge, die Tobias Singelnstein in einer früheren HU Veranstaltung bereits deutlich relativiert hatte). 

Dass dies alles kein schlagendes Argument gegen die Kennzeichnungspflicht war, da bisher keinerlei Übergriffe aufgrund der Kennzeichnungspflicht nachgewiesen werden konnten, wie Glietsch bestätigte, focht ihn im weiteren Verlauf der Diskussion nicht an. Vielmehr beschränkte er sich auch auf hartnäckiges Nachfragen von Malte Marwedel darauf, mit Floskeln um sich zu werfen, und verwies auf die Landesregierung, die ja bisher keinen Entwurf vorgelegt habe. Daher gab es von ihm auch keine Stellungnahme dazu, mit welcher Art von Kennzeichnungspflicht (in seiner Vorstellung gibt es mindestens 50 Varianten, die schon überaus feinsinnige Unterschiede aufweisen müssten) die GdP leben könnte. 

Aber immerhin, was Glietsch als „Sensation aus dem Mund eines Gewerkschafters“ bezeichnete, ließ er durchblicken, dass nicht prinzipiell und jeder Vorschlag zur Kennzeichnung durch die GdP in Baden-Württemberg zurückgewiesen werden würde. So drehte sich die Diskussion letztlich doch etwas im Kreis, da wirklich schlüssige Gegenargumente, über die es sich gelohnt hätte zu diskutieren, nicht vorgebracht wurden (was wohl darauf zurückzuführen ist, dass es sie schlicht nicht gibt). Dies gilt insbesondere deswegen, weil der eigentliche Gegenstand der Diskussion lediglich eine anonymisierte Kennziffer ist und keine Kennzeichnung mit Klarnamen.

Eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung konnte bei dieser Form der individuellen Kennzeichnung bisher auch keines der mit dieser Frage betrauten Gerichte in Berlin-Brandenburg feststellen, da das Recht des Bürgers auf Identifizierbarkeit des ihm gegenüberstehenden Polizeibeamten deutlich überwiege. Glietsch und Bohnert hoben zudem die aus Sicht der Polizei positiven Effekte hervor, nach der eine Kennzeichnungspflicht der Polizei den Rechtfertigungsdruck nehme, warum sie sich dieser Maßnahme verschließe, und somit den Verdacht, man habe etwas zu verbergen, aus der Welt räume. 

Jedenfalls war man sich darüber einig, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, dass nun die Landesregierung am Zuge sei, ihre „Versprechen“ aus dem Koalitionsvertrag einzulösen und einen Gesetzentwurf zur Kennzeichnungspflicht vorzulegen, um damit eine Basis für weitere Gespräche mit der Polizei zu schaffen. 

Die Diskussion wirkt nun sogar außerhalb des Hörsaals fort: In der aktuellen Ausgabe 30/2014 ihres Newsletters „DIGITAL“ sah sich die GdP genötigt, eine Gegendarstellung wegen einer vorgeblichen Verdrehung der Äußerung Seidenspinners abzugeben, nach der man nicht grundsätzlich gegen eine Kennzeichnungspflicht sei. So werde „wieder einmal versucht, der GdP bzw. ihren FunktionsträgerInnen Aussagen zu unterstellen, die es in der dargestellten Form nicht gegeben hat.“ Einer wie auch immer gearteten Kennzeichnungspflicht wurde erneut eine Absage erteilt. Glücklicherweise ist die Veranstaltung auf Video aufgezeichnet, so dass der Vorwurf der Unterstellung in Minute 22:00-22:09 widerlegt werden kann.