Vortragsreihe TACHELES

Im Internet der Dinge – Das Paradies von Silicon Valley

Referent

Britta Schinzel, Professorin i.R. für Informatik und Gesellschaft, Freiburg

Veranstaltungsbeschreibung

25. Januar 2017, 20 Uhr c.t., Kollegiengebäude I – Raum 1015

Das ursprünglich demokratisch gedachte und genutzte Internet hat sich – oder wurde – zunehmend kommerziell orientiert. Mit zunehmender Vernetzung, Miniaturisierung und Kostensenkung der Hardware wurde es immer größer und für immer mehr Menschen erreichbar. Es wurden damit neue Geschäftsmodelle entwickelt, und soziale Netzwerke wurden etabliert. Das Internet hat sich weiter in die kabellose Welt erweitert, everywhere ist das Internet der Dinge: everyware. Und Mark Weiser’s Calm Technology mit eingebetteten Systemen und pervasive computing versetzt uns in Umgebungen einer „embodied und enworlded“ Smartness, die uns unbemerkt unterstützen, die aber auch an unserer Souveränität nagen. Health-Implantate, Augenimplantate und Ear-Sets nehmen Gesundheits- und Bewegungs-Daten auf, verabreichen intrakorporal Medikamente, eruieren und kennen unsere Bedürfnisse, empfehlen, steuern und befriedigen sie – auch mit Hilfe humanoider Roboter – und das auch proaktiv, in einer Welt, die zwischen virtuell und real immer weniger unterscheidet - das Schlaraffenland? Die Demokratisierung des Zugangs führt allerdings nicht unbedingt zur vielleicht erhofften Demokratisierung der Welt. Die smarte Welt ermöglicht mit ihrem tracing und tracking eine Eskalation der Überwachung. Die Veränderungen greifen in rechtliche und politische Grundlagen von Handlung, Arbeit, Leben und Bürgerrechten ein, verändern das Verhältnis von privat und öffentlich, und unterminieren demokratische Strukturen.

Soziale Netzwerke und das Internet der Dinge liefern das neue Gold, unsere Daten. Ihre Akkumulation und Analyse mittels Big Data geschieht vorwiegend in den großen Firmen von Silicon Valley und bei und in Kooperation mit der NSA. In Silicon Valley werden NEST (new and emerging sciences and technologies) wie Human Enhancement, Synthetische Biologie, Data Science, etc. besonders effektiv vorangetrieben. Sie tragen zu einer neuen Art von Technik-Religion bei, der die lebensverlängernden Möglichkeiten der Molekularbiologie, Neurobiologie und der Künstlichen Intelligenz ad infinitum weitertreiben möchte.

Zur Referentin: Nach ihrem Studium der Mathematik und Physik stieg Britta Schinzel in die Compilerentwicklung in der deutschen Computerindustrie ein. Von dort wechselte sie in die Theoretische Informatik an der TH Darmstadt und habilitierte sich dort. Im Rahmen ihrer Professur für Theoretische Informatik an der RWTH Aachen arbeitete sie in verschiedenen Gebieten der Künstlichen Intelligenz, initiierte eine Reihe interdisziplinärer Projekte mit Soziologie, Linguistik, Biologie und Medizin und begann sich, zunächst nur in der Lehre, später auch in der Forschung, mit Informatik und Gesellschaft zu beschäftigen. In dieser Zeit entstand die erste Studie zu Frauen und Informatik: Informatik-Unterricht an Gymnasien, die die Seedukation als Hauptfaktor zur Unterstützung von Motivation und Selbstbewußtsein von Frauen in mathematisch-naturwissenschaftlich- technischen Fächern zeigte. Seitdem führte sie kontinuierlich unterschiedliche Projekte zur Situation von Frauen in Informatik und Softwareentwicklung durch.

Seit ihrer Berufung (Denomination: Wirkungen der Informationstechnik in der Gesellschaft) an das Institut für Informatik und Gesellschaft an der Universität Freiburg befasste sie sich mit verschiedenen Themen von Informatik und Gesellschaft, der Theorie der Informatik, Grundlagen, Rechtsinformatik, Informatik und Geschlecht, den Neuen Medien in der Hochschullehre in Forschung, Entwicklung und Anwendung, oder mit den durch IT ermöglichten und verfestigten Normen und Normalisierungen durch Bild gebende Verfahren in der Biomedizin. Von Januar 2001 an leitete sie zusammen mit HD Dr. Sigrid Schmitz das vom MWFK Baden-Württemberg sowie der Universität Freiburg geförderte Kompetenzforum [gin]: Genderforschung in Informatik und Naturwissenschaft, mit der Teildenomination „Genderforschung Informatik“. Seit 2008 pensioniert, arbeitet sie weiter u.a. auf den Gebieten der Informatik-Geschlechterforschung, der Medienkulturen der Computational Sciences, sowie der bildgebenden Verfahren und Visualisierungen und verbindet all diese Aktivitäten mit ihrer politischen Arbeit in den NGOs „Humanistische Union“ und „Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“.