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Aberratio ictus







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Fehlgehen; Tatobjekt; Individualisierung; Konkretisierung; Gleichwertigkeit; Abirrung


Problemaufriss


Die aberratio ictus ist das Fehlgehen der Tat, bei dem der Verletzungserfolg an einem anderen Objekt als demjenigen eintritt, welches der Täter im maßgebenden Zeitpunkt anvisierte.


Beispiel: A will B erschießen. Plötzlich läuft jedoch der C in die Schusslinie und wird getroffen. B bleibt unverletzt.


Problembehandlung


I. Unumstritten: Ungleichwertigkeit der Tatobjekte


Unumstritten ist die Behandlung der aberratio ictus bei Ungleichwertigkeit der Tatobjekte.


Beispiel: A schießt auf den Hund des O, er trifft jedoch O selbst tödlich.


Fallen anvisiertes und getroffenes Tatobjekt unter verschiedene Straftatbestände, so liegt ein nach § 16 I beachtlicher Tatumstandsirrtum vor. Es wird einhellig eine Versuchsstrafbarkeit bezüglich des anvisierten und gegebenenfalls eine dazu in Tateinheit stehende Fahrlässigkeitsstraftat in Bezug auf das tatsächlich getroffene Objekt angenommen (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster StGB, 30. Aufl. 2019, § 15 Rn. 57; Rengier Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 15 Rn. 30).


Im Beispielsfall hat sich A wegen versuchter Sachbeschädigung gem. §§ 303 I, III, 22, 23 I sowie fahrlässiger Tötung gem. § 222 strafbar gemacht.


II. Der streitige Fall: Gleichwertigkeit der Tatobjekte


Umstritten ist hingegen die Behandlung der Fälle in denen anvisiertes und getroffenes Objekt tatbestandlich gleichwertig sind:


Ansicht 1: Nach der Gleichwertigkeitstheorie ist in einer derartigen Konstellation der Täter wegen vorsätzlich vollendeten Delikts bezüglich des tatsächlich getroffenen Objekts zu bestrafen, da er Vorsatz bezüglich der Tötung eines Menschen gehabt hat und auch einen Menschen tötete (Heuchemer JA 2005, 275; Loewenheim JuS 1966, 310, 313; Frister Strafrecht AT, 9. Aufl. 2020, 11. Kapitel Rn. 61.; Puppe JZ 1989, 728; Kuhlen Die Unterscheidung von vorsatzausschließendem und nicht vorsatzausschließendem Irrtum, 1987, S. 479 ff.).


Kritik: Diese Ansicht unterstellt, dass der Täter lediglich ein Objekti der Gattung treffen wollte und spricht dem Tätervorsatz somit eine Objektindividualisierung ab (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 50. Aufl. 2020, Rn. 378; Sch/Sch/Sternberg-Lieben/Schuster StGB, § 15 Rn. 57). Berücksichtigt man aber, dass bei einer Individualisierung des Tatobjekts der Täter das tatsächlich getroffene Objekt eigentlich nicht treffen wollte, so widerspricht diese Ansicht auch den tatsächlichen Vorstellungen des Täters (Rengier Strafrecht AT, § 15 Rn. 34). Sie schiebt dem Täter ein nicht gewolltes Tatobjekt als gewolltes unter (Fiktion).


Ansicht 2: Herrschend wird die Konkretisierungstheorievertreten (BGHSt 34, 53; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, Rn. 375; Rengier Strafrecht AT, § 15 Rn. 34 f.; Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, 12. Aufl. 2018, § 15 Rn. 46 f.; Rath JA 2005, 709). Hiernach macht sich der Täter nur wegen Versuchs bezüglich des ursprünglich ins Auge gefassten, konkretisierten Objekts und gegebenenfalls wegen Fahrlässigkeit bezüglich des wirklich getroffenen Objekts strafbar (Fischer StGB, 68. Aufl. 2021, § 16 Rn. 6).


Kritik: Die Strafbarkeit wegen Versuchs und gegebenenfalls Fahrlässigkeit wird dem Unrechtsgehalt der Tat nicht gerecht. Die Straftatbestände schützen Rechtsgüter nur ihrer Gattung nach. Hat der Täter jedoch einen Menschen treffen wollen und habe er einen Menschen getroffen, so ist er wegen vollendetem Delikt zu bestrafen (Frister Strafrecht AT, 11. Kapitel Rn. 59).


Ansicht 3: Nach einer differenzierenden Ansicht führt das Fehlgehen der Tat nur bei der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter, nicht aber bei übertragbaren Rechtsgütern (Eigentum und Vermögen) zum Vorsatzausschluss (Schreiber JuS 1985, 873; Hillenkamp Die Bedeutung der Vorsatzkonkretisierung bei abweichendem Kausalverlauf, 1971, S. 85 ff.). Die Individualität des Angriffsobjekts ist nur bei Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter für das im Tatbestand vertypte Unrecht von Bedeutung.


Kritik: Vergleiche Kritik zu Ansicht 1. Hinzu kommt, dass die Differenzierung nach höchstpersönlichen und nicht höchstpersönlichen Rechtsgütern inkonsequent ist (Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 13 Rn. 37).


Notabene: Jenseits dieses Streitstands kann die Abgrenzung der aberratio ictus von Fällen problematisch sein, in denen der Täter bezüglich des tatsächlich getroffenen Opfers mit dolus eventualis gehandelt oder überhaupt keine Objektkonkretisierung vorgenommen hat, wie z.B. bei einem ziellosen Schuss in eine Menschenmenge.















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 9.40 Uhr bearbeitet.



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